2. Sieg für Witwer: Versicherungsgericht St. Gallen setzt Diskriminierung ein Ende

12. September 2023

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Entscheid Beeler gegen die Schweiz vom 11. Oktober 2022 festgestellt, dass die Witwer gegenüber Witwen diskriminiert seien. Die Rente eines Witwers aus der Hinterlassenenvorsorge (AHV) wird mit Erreichen der Volljährigkeit seines jüngsten Kindes eingestellt, während eine Witwe in der gleichen Situation eine lebenslange Rente erhält.

Die Ausgleichskassen wenden die diskriminierende Bestimmung auf alle «neuen» Fälle, wo das jüngste Kind des Witwers 18 Jahre alt wird, nicht mehr an und sie richten die Rente an den Witwer weiterhin aus. In Fällen, wo die Rente aber vor dem Entscheid vom Oktober 2022 bereits aufgehoben wurde, werden keine Zahlungen mehr erbracht. schadenanwaelte haben diese ungleiche Behandlung von Witwern, deren jüngstes Kind vor Oktober 2022 volljährig wurde gegenüber solchen, wo dieses Ereignis erst nach Oktober 2022 eintrat, erneut als diskriminierend erachtet. Auch deren fortdauernde ungleiche Behandlung gegenüber allen Witwen bleibt diskriminierend.

In unserem Newsbeitrag vom Dezember 2022 haben wir die Witwer aufgerufen, gegen diese Praxis vorzugehen und ihren Anspruch auf eine Witwenrente neu anzumelden.

Wie zu erwarten war, haben die Ausgleichskassen diesen Anspruch abstellend auf eine Übergangsregelung des Bundesamtes für Sozialversicherungen – mit einer Ausnahme – abgewiesen. schadenanwaelte haben für die betroffenen Witwer in der Folge mehrere Beschwerden an die kantonalen Versicherungsgerichte erhoben.

Nun gibt uns das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen im Urteil vom 17. August 2023 Recht und verpflichtet die Ausgleichskasse, dem Witwer ab Oktober 2022 die Rente weiterhin auszubezahlen. Den Urteilserwägungen unter Ziffer 6 entnehmen Sie die fundierte Auffassung des Gerichts. Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig und es ist zu vermuten, dass er ans Bundesgericht weitergezogen wird. Sofern dieses das kantonale Urteil und damit den Rentenanspruch des Witwers verneinen würde, hätte letztlich wiederum der Europäische Gerichtshof  für Menschenrechte über die Frage der Diskriminierung zu entscheiden.

Dass sich das Bundesgericht schwer tut, Entscheide des Gerichtshofes umzusetzen und auf alle betroffenen Personen anzuwenden, kennen wir leider zu gut aus den Asbestprozessen. Geduld und Ausdauer werden sich wohl auszahlen.

Insofern ermutigen wir die Witwer erneut, ihre Ansprüche bei den Ausgleichskassen anzumelden und gegen ablehnende Verfügungen Beschwerden zu erheben.

Urteil des Versicherungsgerichts St. Gallen vom 17. August 2023