Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 25. Mai 2020: Urteil gegen sog. „Scheingutachterstellen“ – Nun ist das BSV gefordert

Das Phänomen ist relativ neu: Wohl aufgrund sinkender Auftragszahlen suchen Gutachterstellen nach Möglichkeiten, den Auftragsrückgang zu kompensieren. So fällt nach einer Handelsregister- und Homepagerecherche auf, dass diverse Gutachter für mehrere Gutachterstellen tätig sind und Namen einzelner natürlicher oder juristischer Personen in mehreren Gutachterstellen auftauchen.

In einem von uns geführten Fall bestand das vorgesehene Gutachterteam der GA eins GmbH in Einsiedeln fast ausschliesslich aus Gutachtern, welche auch in der ABI GmbH in Basel und der ZIMB AG in Schwyz tätig sind. Es konnte zudem eruiert werden, dass die drei Gesellschaften direkt oder indirekt personell miteinander verflochten sind. So taucht bspw. der Verwaltungsrat der ZIMB AG auch als Verwaltungsrat der BTC Holding AG auf, welche seit einiger Zeit die Stammanteile der GA eins GmbH in Schwyz hält. Ob und inwiefern die ABI GmbH oder dort führende Köpfe in die Käufe der Gutachterstellen involviert waren, lässt sich anhand der Handelsregisterauszüge nicht erschliessen, da die Namen der Aktionäre nirgends öffentlich publiziert werden. Immerhin lässt sich vermuten, dass die ABI GmbH oder die die Gesellschaft beherrschenden Personen an den Unternehmenskäufen beteiligt waren, andernfalls sich die zahlreichen Rochaden der Gutachter zwischen drei Gutachterstellen nur schwer erklären lassen.

Das Kantonsgericht Luzern hat in unserem Fall entschieden, dass das Gutachterteam so zusammenzusetzen ist, dass maximal eine Gutachtensperson auch für eine andere Gutachterstelle tätig sein darf. Die spannendere Frage, ob damit nicht das Losverfahren gemäss Art. 72bis Abs. 2 IVV untergraben wird, überwies das Gericht hingegen dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV). Es handle sich dabei um eine aufsichtsrechtliche Frage, so das Kantonsgericht Luzern. Aus unserer Sicht liegt kein eigentliches Losverfahren mehr vor, wenn hinter mehreren äusserlich unterschiedlichen Gutachterstellen in Tat und Wahrheit dieselben Gesellschafter stehen. Die Gutachterstellen oder ihre Gesellschafter erhöhen somit auf unlautere Art und Weise ihre Chancen auf Aufträge, was dem Sinn und Zweck eines Losverfahrens widerspricht, zumal damit auch die erwünschte Vielfalt in der Begutachtungslandschaft nicht gewährleistet wird. Denn es kann davon ausgegangen werden, dass die «Tochtergesellschaften auf dieselbe Linie der Muttergesellschaft» gebracht werden. Es ist hier wohl gerechtfertigt, von eigentlichen «Scheingutachterstellen» zu sprechen. Es bleibt zu hoffen, dass das BSV diese fragwürdige Praxis unterbindet.