Patientenfonds versenkt

1. Oktober 2024

Am 17. September diesen Jahres fand wiederum der alljährliche «World Patient Safety Day» der WHO statt, der im Rahmen einer Resolution im Jahre 2021 etabliert worden ist, nachdem diverse Studien die sog. «adverse events» (d.h. ungewollte Zwischenfälle) bei den Patientenbehandlungen als eine der zehn häufigsten Ursachen für Tod und Erkrankungen der Patienten identifiziert hatten. Grund genug, um auch einen Blick auf die Entwicklung der Patientenrechte der letzten Jahre zu werfen.

Während sich in der Medizin in punkto Patientensicherheit einiges getan und auch die Gesetzgeber in Europa und insb. in Deutschland den Patienten- und Konsumentenschutz weiter ausgebaut haben, verläuft die Entwicklung in der Schweiz gerade in die gegenteilige Richtung, indem das Bundesgericht die Patientenrechte zunehmend verwässert und das Parlament die notwendigen Verbesserungen auf den Sankt-Nimmerleinstag verschiebt. In einem sehr lesenswerten Beitrag hat Prof. Landolt in der Zeitschrift «Plädoyer» die Rechtsprechung des Bundesgerichts der letzten Jahre zum Arzthaftungsrecht analysiert und dabei relativ frustriert festgestellt, dass die Durchsetzung von Arzthaftpflichtansprüchen immer schwieriger wird und das Bundesgericht selbst die bisher als gefestigt geglaubte Praxis zur Aufklärung und zur ärztlichen Dokumentation zum Nachteil der Patienten verwässert hat.

Auch nach unserer Erfahrung bleiben selbst grobe Arztfehler heute regelmässig folgenlos, weil das Bundesgericht für den Kausalitätsbeweis eine Wahrscheinlichkeit verlangt, bei welchem neben dem wahrscheinlichsten Kausalverlauf ein anderer Verlauf «vernünftigerweise nicht in Betracht fallen» darf. Weil die Medizin nun eben keine exakte Wissenschaft ist und deshalb eine Verbesserung des Gesundheitszustandes auch bei rechtzeitiger und adäquater Versorgung nicht immer garantiert werden kann, ist dieser allgemeine Kausalitätsbegriff im Medizinhaftungsrecht schon vom Ansatz her viel zu undifferenziert, weshalb bei Unterlassungsdelikten (d.h. bei unterlassenen oder verspäteten Therapien) auch kaum je eine Haftung erstellt werden kann.

Als Remedur schlägt Prof. Landolt vor, das Medizinalhaftungsrecht mit einer Gefährdungshaftung zu modernisieren, was angesichts der Dominanz des rechtsbürgerlichen Blocks im Parlament aber ein hoffnungsloses Unterfangen bleiben dürfte. Man denke nur schon an die kürzliche Revision des Versicherungsvertragsgesetzes VVG, als der Schweiz. Versicherungsverband SVV mit seinen Forderungen praktisch ungehindert durchmarschiert ist und das Debakel für die Konsumenten – und Patienten erst –auf Druck der Medien in allerletzter Minute verhindert werden konnte.

Auch hier werden die Lobbyisten der Assekuranz im Parlament alles daran setzen, eine Verschärfung der Arzthaftung zu verhindern, indem sie mit höheren Krankenkassenprämien drohen, weil die Ärzte mit einer Verschärfung der Arzthaftung auch höhere Versicherungsprämien bezahlen müssten, die sie dann direkt an die Patienten weitergeben würden. Dass eher das Gegenteil der Fall sein dürfte, weil mit einer Verschärfung nicht nur die Patientensicherheit erhöht, sondern auch die Kosten für Tausende von unnötig durchgeführten Operationen eingespart werden könnten, wird im allgemeinen Politgetöse vermutlich untergehen. Nachdem das Parlament vor wenigen Tagen selbst die Einführung eines subsidiären Entschädigungssystems für spezifische, nicht fehlerbedingte Schäden im Rahmen eines Patientenfonds auf Antrag der SP-Bundesrätin mit 133 zu 58 Stimmen versenkt hat (Motion Wasserfallen), bleibt nur noch zu hoffen, dass das Bundesgericht die ohnehin schon massive Asymmetrie zwischen Arzt und Patient nicht noch weiter zulasten der Patienten verschiebt.

RA Stephan Kinzl