
Konstellationen, die regelmässig zu Arzt- und Spitalhaftpflichtfällen führen
4. Juli 2025
Als täglich mit Arzt- und Spitalhaftpflichtfällen beschäftigte Anwaltskanzlei sehen wir uns in letzter Zeit besonders häufig mit folgenden zwei Konstellationen konfrontiert: Ungenügende spitalinterne Kommunikation und ungenügende Berücksichtigung bzw. Prüfung von berechtigten Hinweisen der Angehörigen der Patientinnen und Patienten (oder der Patientinnen und Patienten selber).
Der erste Problemkreis wird häufig augenscheinlich bei Patienten, welche aufgrund ihres Beschwerdebildes nicht bloss einer medizinischen Disziplin zugeordnet werden können. FSME-Patienten können zum Beispiel nicht bloss neurologische Beschwerden haben, das Virus kann sich insbesondere auch auf das Brechzentrum und den Magen-Darm-Trakt auswirken mit der Folge, dass sich die betroffenen Patienten nicht mehr selber ernähren können und auf einen PICC-Katheter und/oder eine Sonde angewiesen sind. Leider passiert es in solchen Fällen spitalintern nicht selten, dass die Kollegen und Kolleginnen einer anderen medizinischen Disziplin, welche imstande wären, den Teil der ihre medizinische Disziplin betreffenden Beschwerden einzelfallgerecht sorgfältig zu beurteilen und die angezeigten medizinischen Massnahmen zu implementieren (im Beispiel der FSME-Patienten die Gastroenterologie, welche in Bezug auf die Beeinträchtigung des Magen-Darm-Traktes Abhilfe schaffen könnte), nicht bzw. nicht rechtzeitig konsultiert werden. So ist es mangels interdisziplinärer Kommunikation im Beispielfall tatsächlich passiert, dass der betroffene Patient während neun Tagen Spitalaufenthalt nicht ernährt wurde, obwohl ständiges Erbrechen eine natürliche Nahrungsaufnahme komplett verunmöglicht, weil der Magen nicht funktioniert.
Auch mit dem zweiten Problemkreis sehen wir uns häufig konfrontiert, besteht doch seitens des (medizinischen und pflegerischen) Spitalpersonals häufig eine «natürliche» Abneigung gegenüber Hinweisen von Angehörigen, welche dann in der Regel dazu führt, dass solche Hinweise per se überhört oder als unbeachtlich eingestuft werden, obwohl sie wenigstens zum Teil durchaus beachtlich wären. Das medizinische Personal sollte nach unserem Dafürhalten durchaus in der Lage sein, berechtigte und sachliche Fragen bzw. Anliegen von unsachlichen oder unwichtigen Mitteilungen zu unterscheiden. Im Beispielfall wurde die Frage bzw. das Anliegen, den FSME-Patienten parenteral zu ernähren, nach rund vier Tagen nach Ausbruch der Krankheit mit dem pauschalen Hinweis durch die Neurologie verworfen, dass man dies wegen Komplikationsgefahr generell nicht mache. Wären die Neurologen dem berechtigten Hinweis nachgegangen und hätten sie rechtzeitig mit den Kolleginnen und Kollegen der Gastroenterologie gesprochen, hätte die tatsächlich angezeigte parenterale Ernährung früher in die Wege geleitet und die Leiden des Patienten verkürzt werden können.
Weiteres Beispiel ist der Vater (dipl. Pflegefachmann) eines auf einer Intensivstation eines Kinderspitals liegenden Kindes, dessen Zustand sich verschlechtert. Auf die entsprechenden Hinweise des Vaters wird nicht eingegangen. Die Konsequenz war eine irreversible Hirnschädigung, weil das sich anbahnende Hirnödem nicht erkannt wurde. Eindrücklich ist auch der Fall einer Kinderärztin, welche das Kind nicht rechtzeitig an eine Kinderophthalmologin/einen Kinderophthalmologen überwies, mit der Konsequenz, dass das Kind zu spät operiert wurde und heute nur noch mit einem Auge sieht.
Dass in Arztpraxen und Spitälern im Lichte der zahlreichen täglichen Behandlungen und unterschiedlichen Beschwerdebildern trotz aller Massnahmen Fehler passieren, wird nie ganz vermieden werden können. Um solche Fehler zu minimieren, wurde seinerseits in Spitälern das Critical Incident Reporting System (CIRS) etabliert, ein anonymes Meldesystem, welches kritische Ereignisse, Beinahe-Zwischenfälle und Fehler erfassen soll. Es wäre im Sinne der Patientensicherheit zu begrüssen, wenn das involvierte Personal häufiger von der Möglichkeit der CIRS-Meldung Gebrauch machen und vermehrt auch den dargelegten Problemkonstellationen Beachtung schenken würde, damit (schwerwiegende) Fälle von Behandlungsfehlern möglichst unterbleiben.
Betroffenen Personen raten wir, rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, falls sie meinen, Opfer eines Behandlungsfehlers geworden zu sein.