Kein Kündigungsrecht wegen Anzeigepflichtverletzung
12. Juni 2024
Viele Personen sind über ihre Arbeitsstellen in der beruflichen Vorsorge versichert. Der Versicherungsschutz variiert dabei je nach Stelle: vom tiefen zwingenden Minimum nach Gesetz (sogenanntes Obligatorium) bis hin zu sehr guten Absicherungen auf freiwilliger Basis (sogenanntes Überobligatorium). Die Vorsorgeeinrichtungen nehmen allerdings teilweise Gesundheitsprüfungen vor, bevor sie Personen in vollem Umfang in die überobligatorische Versicherung aufnehmen. Wer dabei nicht genügend gesund erscheint, riskiert eine Einschränkung des Versicherungsschutzes. Ebenso riskiert man eine nachträgliche Kündigung des überobligatorischen Vorsorgevertrages, wenn man bei solchen Gesundheitsprüfungen falsche Angaben macht.
schadenanwaelte vertrat eine Büroangestellte, die bei dieser Gesundheitsprüfung die Frage nach «Krankheiten der Psyche» bzw. Behandlung wegen «gesundheitlicher Probleme/Störungen» verneinte. Gleichzeitig gab sie aber bei der Frage nach Arbeitsunfähigkeiten in den letzten fünf Jahren eine «Überarbeitung» mit kurzer Arbeitsunfähigkeit an. Die Pensionskasse und das kantonale Gericht vertraten die Auffassung, dass die Betroffene hier ihre Anzeigepflicht verletzt habe: Sie hätte auch die ersten Fragen angesichts der Überarbeitungssituationen bzw. Burnouts in ihrer Vergangenheit bejahen müssen. Entsprechend verweigerte die Pensionskasse die Auszahlung überobligatorischer Leistungen und wies das kantonale Gericht die Klage der Betroffenen ab.
Das Bundesgericht hat das kantonale Urteil nun auf Beschwerde von schadenanwaelte hin aufgehoben. Aus den Antworten ergebe sich klar, dass die Betroffene die Überarbeitungssituationen nicht verschweigen wollte, sondern schlicht nicht als «Krankheit der Psyche» bzw. krankheitswertige «gesundheitliche Störung» verstanden habe. Nach Ansicht des Bundesgerichts hätte die Pensionskasse bei aufmerksamer Prüfung der Antworten erkennen müssen, dass die Betroffene die Fragen anders verstanden hatte als von der Pensionskasse wohl gemeint. Deshalb hätte die Pensionskasse nachfragen und das Missverständnis auflösen müssen. Indem sie das nicht getan habe, habe sie das Recht verloren, sich später auf eine Anzeigepflichtsverletzung zu berufen (E. 5.3).
Ein erfreuliches Urteil zugunsten einer Versicherten, die nichts verbergen wollte sowie schlicht und einfach davon ausging, dass mit den abgefragten «Krankheiten der Psyche» etc. nicht schon ein Burnout gemeint war. Auch ihr Anwalt sass selber schon manches Mal vor sehr umfassenden und gleichzeitig schwammigen Fragebögen zu seiner Gesundheit und rätselte sogar als Fachperson, was das Versicherungsunternehmen mit gewissen Fragen wohl alles gemeint haben könnte. Die Rechtsprechung erwartet von den Versicherten, dass sie ernsthaft über die nicht immer selbsterklärenden Fragen nachdenken und sich bemühen, an alles Erkennbare zu denken. So erscheint es fair, auch von den Versicherungsunternehmen und Vorsorgeeinrichtungen zu erwarten, dass sie ernsthaft über die Antworten nachdenken und sich bemühen, erkennbare Missverständnisse, Unklarheiten etc. aufzulösen.