Arzthaftung: neuster Clou der Assekuranz

12. Juni 2024

Arzthaftpflichtverfahren werden in der Regel aussergerichtlich geführt, wozu die Parteien allfällige Vorwürfe gegen den Arzt zuerst mit Hilfe von externen fachärztlichen Beurteilungen und unabhängig voneinander klären. Dieses System hat sich seit Jahren bewährt, weil damit falsche Vorwürfe gegen Ärzte möglichst vermieden und Gerichtsprozesse bei berechtigten Vorwürfen der Patienten verhindert werden können. Allerdings sind medizinische Abklärungen nicht gratis und stellen für die Patienten ohne Rechtsschutzversicherung eine erste grosse Hürde dar, während sie für die Ärzte im Rahmen der sog. «Abwehr von unberechtigten Forderungen» durch ihre obligatorische Berufshaftpflichtversicherung ohnehin gedeckt sind. Eine Haftpflichtversicherung ist nun allerdings dazu übergegangen, auf eigene medizinische Abklärungen gleich ganz zu verzichten und sich so die Kosten für ihre medizinischen Berater zu sparen.

Dazu werden die Vorwürfe zuerst einmal kategorisch zurückgewiesen, was leider System hat. Sofern der Patient insistiert, stellt die Versicherung zur Bestreitung der Vorwürfe auf die (Schutz-)Behauptungen ihres eigenen Versicherten – also des angeschuldigten Arztes selbst – ab. Falls der Patient dann immer noch auf den Vorwürfen beharrt und diese aller Wahrscheinlichkeit auch berechtigt sind, erklärt man sich gefälligerweise zu einem gemeinsamen Gutachten mit Kostenfolgen nach Unterliegen bereit, ansonsten man auf den Prozessweg verweisen müsse.

Es mag durchaus sein, dass es allein Sache der Versicherung ist, wie sie einen Fall führt und ob sie den Vorwürfen der Patienten fundierte Argumente entgegensetzt, die medizinisch vertretbar und von unabhängiger Stelle abgeklärt worden sind. Ein seriöses Schadenmanagement sieht nach hiesiger Auffassung allerdings anders aus und beinhaltet zwingend die fachärztliche Abklärung von substantiiert erhobenen – weil fachärztlich verifizierten – Vorwürfen des Patienten. Einerseits ist es höchst unfair, die Patienten mit diesem taktischen Manöver noch ein zweites Mal für die Kostenrisiken von Expertisen haften zu lassen, während die Versicherung bei einem lucky punch keinerlei Kosten zu tragen hat. Andererseits hat sich die Versicherung zu einem professionellen Schadensmanagement vertraglich verpflichtet und dafür von Ärzten und Spitälern Prämien einkassiert, weshalb ihre Versicherten eigentlich auch eine sorgfältige Abklärung der Vorwürfe erwarten dürfen.

Solchen unfairen Praktiken ist aus unserer Sicht entschieden entgegenzutreten, indem halt geklagt wird. Selbstverständlich hat der Patient selbst keinen Einfluss auf das Schadensmanagement von Versicherungen. Haben sich die Ärzte und Spitalvertreter dann allerdings plötzlich vor einem Richter zu verantworten, werden vermutlich unangenehme Fragen laut, weshalb die Versicherung die fundierten Vorwürfe der Patienten nicht vorher professionell abgeklärt und wieso man leicht vermeidbare Gerichtsprozesse nicht verhindert habe. Im Interesse sowohl des Arztes wie des Patienten, aber auch den Gerichten bleibt deshalb zu hoffen, dass diese Praktiken ebenso schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind.

Fürsprecher Stephan Kinzl