
Bundesgericht zum Arztgeheimnis – selbst gröbste Fehler bleiben im Dunkeln
8. Oktober 2025
«Follow the money» ist ein bewährter Ansatz von Strafverfolgungsbehörden, um die Hintergründe von Aktivitäten aufzudecken und die dahinterstehenden Personen zu identifizieren, indem man den Geldflüssen folgt. Ist ein Entscheid wie jener des Bundesgerichts vom 9.9.25 schlechterdings nicht nachvollziehbar, bleibt manchmal nur noch dieser Ansatz übrig, um doch noch eine plausible Erklärung dafür zu finden.
Mit besagtem Urteil hat es das Bundesgericht in einer 5-er Besetzung in zwei parallel gelagerten Fällen in einer öffentlichen Sitzung abgelehnt, seine Rechtsprechung zum Arztgeheimnis zu differenzieren. Angehörige eines verstorbenen Patienten hatten Einsicht in die Krankengeschichte verlangt, um die genauen Umstände des Todes zu rekonstruieren und damit zu erfahren, ob ihr Ehemann und Vater schicksalshaft oder als Folge eines ärztlichen Behandlungsfehlers verstorben ist.
Um Missverständnisse gleich vorzubeugen: der Kerngehalt des Arztgeheimnisses stand in beiden Fällen nie zur Diskussion. Alles, was der Patient seinen Ärzten «im Geheimen» anvertraut, alles «Verfängliche», mithin alles, was nicht für die Ohren Dritter bestimmt ist, ist selbstverständlich weiterhin absolut sicher und bleibt unantastbar, selbst über den Tod des Patienten hinaus. Hier ging es aber um etwas anderes, nämlich um einzelne Dokumente der Krankengeschichte wie den Laborbericht und die Einträge der Pflege in den letzten Stunden vor dem Tod des Patienten, damit die genauen Umstände des Todes rekonstruiert werden konnten, denn just diese Akten waren in der von der Staatsanwaltschaft beim Spital Thurgau edierten Krankengeschichte seltsamerweise gerade nicht enthalten.
Dieser Begründung folgend setzte sich die referierende Bundesrichterin Hänni vehement für Differenzierung der Rechtsprechung und damit die Gutheissung der Beschwerden ein. Um sicherzustellen, dass Auskunftsbegehren von Angehörigen den Kerngehalt des Arztgeheimnisses nicht verletzen, sollte die Gesundheitsbehörde bei ihrer Interessensabwägung nach Art. 321 StGB auch den mutmasslichen Willen des Patienten berücksichtigen. Sofern die Aktenlage darauf hindeutet, dass der verstorbene Patient dem Akteneinsichtsgesuch seiner Angehörigen mutmasslich selbst zugestimmt hätte, sei ein überwiegendes privates Interesse der Angehörigen ausgewiesen und die Einsicht deshalb ausnahmsweise zu gewähren. Andernfalls werde es den Angehörigen verunmöglicht, die genauen Umstände des Todes zu klären.
Bundesrichter Donzallaz sah demgegenüber in jeder Differenzierung einen inakzeptablen Bruch des Arztgeheimnisses, welches zum Schutze der Patienten ausnahmslos eingehalten werden müsse. Diesem Votum schloss sich auch Bundesrichter Kradolfer mit der Begründung an, die Angehörigen könnten das Spital ja verklagen und auf diesem Weg in den Besitz der Akten kommen. Es sind ganz neue Töne des Bundesgerichts, dass die Anwälte nun plötzlich Prozesse ins Blaue hinaus führen sollen, ganz anders als wir es von der bisherigen Rechtsprechung zur fehlenden Aussichtslosigkeit bei unentgeltlicher Prozessführung gewohnt sind.
Bundesrichterin Hänni wurde allerdings mit 4:1 Voten überstimmt und eine Differenzierung abgelehnt. Damit ist es heute faktisch nicht mehr möglich, die ärztlichen Behandlungen bei Todesfällen zu überprüfen, womit dieser Bereich faktisch zum rechtsfreien Raum wird, was weltweit einzigartig sein dürfte.
Follow the money: Wer also profitiert von dieser Rechtsprechung des Bundesgerichts, die angeblich dem Patientenschutz dienen soll? Mit Sicherheit weder die Patienten, noch deren Angehörige und auch nicht die Ärzte, die nun mit dem Stigma behaftet sind, eventuell die toten Patienten auf dem Gewissen zu haben und nun alles zu vertuschen, ohne dass sie sich rechtfertigen dürfen. Einzige erkennbare Profiteure sind die Haftpflichtversicherungen der Ärzte, denn ohne Krankengeschichte ist auch kein Nachweis eines ärztlichen Behandlungsfehlers möglich, sodass die meisten Versorgerschadenfälle entfallen und die Versicherungen damit Millionen sparen dürften.
Weitere Medienberichte zu diesem Entscheid:
Das schriftliche Urteil liegt im Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Newsletters noch nicht vor.