Second Opinion in der Invalidenversicherung: (Kein) Anspruch auf eine Zwischenverfügung?
8. Oktober 2025
Rechtsprechungsgemäss haben weder die IV-Stellen noch die versicherte Person Anspruch darauf, ein weiteres Gutachten im Sinne einer «second opinion» einzuholen, wenn man mit dem Ergebnis des Ersten nicht zufrieden ist. Genügt ein bei den Akten liegendes Gutachten den inhaltlichen und beweismässigen Anforderungen an eine ärztliche Expertise, sind weitere gutachterliche Abklärungen weder zulässig noch notwendig.
Bei der Abklärung von Leistungsansprüchen kann es vorkommen, dass die IV-Stellen auf ein Gutachten nicht abstellen wollen, Mängel vorbringen und daher die Durchführung eines neuen Gutachtens fordern. Wenn die versicherte Person gutachterlich für arbeitsunfähig befunden wurde, kann die Forderung nach einem neuen Gutachten jedoch problematisch sein, da darin eine abweichende, ungünstigere Beurteilung vorgenommen werden könnte. Die versicherte Person hat in einer solchen Konstellation daher ein grosses Interesse an der gerichtlichen Überprüfung der Notwendigkeit einer Neubegutachtung. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die IV-Stelle eine anfechtbare Verfügung erlässt. Ohne eine solche Zwischenverfügung kann sich die betroffene Person nicht gegen die Neubegutachtung wehren. Nun verweigern die IV-Stellen aber regelmässig den Erlass solcher Zwischenverfügung, wenn Uneinigkeit über die Notwendigkeit einer Neubegutachtung besteht. Bewegen wir uns hier im Bereich einer systematischen Rechtsverweigerung?
Bei der Verweigerung eine anfechtbare Zwischenverfügung zu erlassen stützen sich die IV-Stellen auf die Rz 3067.1 des Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung (KSVI). Dort wird festgehalten, dass die IV-Stellen abschliessend über die Art und den Umfang einer externen medizinischen Begutachtung entscheiden und daher bei Uneinigkeit über eine Neubegutachtung keine Zwischenverfügung erlassen müssen (KSVI Rz 3067.1, Fassung gültig ab 1.1.2022).
Verschiedene kantonale Sozialversicherungsgerichte haben sich nun schon mit der Frage der Rechtmässigkeit der Verweigerung des Erlasses solcher Zwischenverfügungen beschäftigt, wobei die Entscheide bisher sehr unterschiedlich ausfielen. In einigen Kantonen wird die Weisung in KSVI Rz 3067.1 als widerrechtlich und die Weigerung eine entsprechende Zwischenverfügung zu erlassen als Rechtsverweigerung qualifiziert, womit der Anspruch auf Erlass einer Zwischenverfügung bei fehlender Einigung über die Durchführung einer Begutachtung bejaht wird (so beispielsweise das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, vgl. I 2024 74 vom 7.2.2025, das Sozialversicherungsgericht ZH, vgl. IV-2023.00672 vom 4.6.2024, das Verwaltungsgericht GR, vgl. PVG 2022 S. 63 ff.). Gegenteilig wurde dagegen beispielweise in den in Kantonen Aargau und Solothurn entschieden (vgl. Obergericht AG, VBE.2023.3347 und Verwaltungsgericht SO, VSBES.2023.19).
Wir vertreten die Ansicht, dass die vom Bundesgericht in BGE 137 V 210 aufgeführten Argumente zur Stärkung der Mitwirkungsrechte der versicherten Personen nach wie vor Bestand haben und die Verweigerung einer Zwischenverfügung bei Uneinigkeit über eine Zweitbegutachtung nicht rechtens ist. Dies, insbesondere in Anbetracht der unnötigen Verfahrensverzögerung und der zusätzlich entstehenden Kosten für ein Gutachten, welches allenfalls gar nicht notwendig ist. Verweigert die zuständige IV-Stelle gestützt auf KSVI Rz 3067.1 den Erlass einer Zwischenverfügung, kann die Erhebung einer Rechtsverweigerungsbeschwerde geprüft werden.