Neues Versicherungsvertragsrecht: Keine Anwendung auf ältere Versicherungspolicen
11. April 2025
Nach einer geradezu abenteuerlichen parlamentarischen Vorgeschichte trat am 1. Januar 2022 die neue Fassung des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) in Kraft. Diese enthält viele Verbesserungen für Versicherte und Versicherungsnehmerinnen, aber auch eine sehr restriktive Übergangsbestimmung (Art. 103a VVG). Demnach gilt für altrechtliche Verträge (vor dem 1. Januar 2022 abgeschlossen) praktisch ausnahmslos weiterhin das frühere Recht. Es war aber lange umstritten, ob Art. 103a VVG den Übergang vom alten zum neuen Recht abschliessend regelt oder für gewisse Neuerungen nicht doch eine andere Übergangsregelung bestehen könnte.
Rund drei Jahre nach dem Inkrafttreten des neuen VVG hat das Bundesgericht diese Frage nun in einem Grundsatzurteil entschieden (Urteil des Bundesgerichts 4A_189/2024 vom 27. Januar 2025, zur Publikation vorgesehen). Der Streitgegenstand war dort die Frage, ob das neue direkte Forderungsrecht gemäss Art. 60 Abs. 1bis VVG «rückwirkt», also auf einen altrechtlichen Versicherungsvertrag Anwendung findet. Auf Grundlage seiner Interpretation von Art. 103a VVG kam das Bundesgericht zum Ergebnis, dass diese Bestimmung für alle Neuerungen gilt (E. 2.4.7. f.). Auf altrechtliche Verträge sind somit nun definitiv nur die in Art. 103a VVG ausdrücklich genannten Bestimmungen des neuen Rechts anwendbar (die Formvorschriften und das Kündigungsrecht nach den Artikeln 35a und 35b) – in allen anderen Punkten bleibt es beim alten Recht, soweit die Versicherungsunternehmen das neue Recht nicht freiwillig zur Anwendung bringen (so bspw. teilweise die Zürich oder Orion).
Das Fazit zur übergangsrechtlichen Situation ist zum Schluss nun ebenso einfach wie ernüchternd: Das alte Recht wird eine «sehr, sehr lange Bremsspur nach sich ziehen» (Stephan Fuhrer, Deutliche Verbesserungen für die Kunden von Versicherungen, plädoyer 2/2021, 40 ff., 49). Die blosse (automatische) Verlängerung von altrechtlichen Versicherungsverträgen nach dem 1. Januar 2022 ist nämlich kaum ein «Abschluss» nach dem 1. Januar 2022 im Sinne der Übergangsbestimmung. Bei Anpassungen im Vertrag wäre es immerhin denkbar, dass die Gerichte einen «(Neu)abschluss» bejahen – wobei offen scheint, ob diese Anpassungen ein gewisses Mindestmass erreichen müssten oder jede Änderung genügen würde.