In Zivilverfahren erhobene Beweise müssen auch von den Sozialversicherungen beachtet werden

15. März 2023

Bei der Erledigung von ‘Komplexschäden’ (von solchen spricht man, wenn eine geschädigte Person nach einem Unfall Ansprüche gegenüber verschiedenen Versicherungen hat, die in unterschiedlichen Verfahren geltend gemacht werden müssen) stellt sich nicht selten die Frage, welche Bedeutung Beweismittel (vor allem Gutachten und Zeugenaussagen), die im einen Verfahren ergangen sind, für andere Verfahren haben.

In einem von schadenanwaelte vor kurzem erstrittenen Urteil hat das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Land nun klargestellt, dass die Invalidenversicherung im Rahmen der Sachverhaltsabklärung auch die Erkenntnisse aus den zivilrechtlichen Verfahren miteinzubeziehen habe. Die Auffassung der IV-Stelle, dass diesbezüglich keine Bindungswirkung besteht, treffe zwar zu, dies bedeute aber nicht, dass die Ergebnisse bezüglich Status und die anlässlich des Zivilverfahrens eingeholten medizinischen Berichte völlig ausser Acht zu lassen sind, da sämtliche Beweismittel der freien Beweiswürdigung unterliegen. In diesem Sinne können die Erkenntnisse des zivilrechtlichen Verfahrens durchaus auch Aufschluss über offene Fragen im Sozialversicherungsverfahren geben.

Dieses Urteil stellt ein schönes Gegenstück zum von Schadenanwalt Rainer Deeckeerstrittenen BGE 140 III 24 dar. Dort hat das Bundesgericht erkannt, dass der Zivilrichter ein in einem sozialversicherungsrechtlichen Verfahren eingeholtes Gutachten im Haftpflichtprozess grundsätzlich als gerichtliches Gutachten beiziehen darf und dieses deshalb ebenso beweistauglich ist wie ein vom Zivilrichter selbst in Auftrag gegebenes Gutachten. Aufgrund der unterschiedlichen rechtspolitischen Zielsetzungen des Haftpflichtrechts einerseits und des Sozialversicherungsrechts anderseits (BGE 123 III 110 E. 3a) kann das nicht richtig sein. Schadenanwalt Patrick Wagner wird zu diesen Fragen an der diesjährigen HAVE-Prozessrechtstagung vom 31. Oktober 2023referieren.

Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 20. Oktober 2022