Konstellationen, die regelmässig zu Arzt- und Spitalhaftpflichtfällen führen (Teil 2)
8. Oktober 2025
Im letzten Newsletter vom 4.7.2025 hatten wir darüber berichtet, dass ungenügende spitalinterne Kommunikation und ungenügende Prüfung von berechtigten Hinweisen der Angehörigen von Patientinnen oder von Patientinnen selber zu Haftpflichtfällen führen können.
Dass das Thema brandaktuell ist, zeigt der am 10.7.2025 erschienene Beitrag «Bitte einmischen! – Patientensicherheit neu gedacht» sowie der Artikel «Wenn Ärzte es gefährlich locker nehmen» in der NZZ am Sonntag vom August 2025.
Bei «Martha’s Rule» handelt es sich um ein Projekt für Patientensicherheit aus dem Jahr 2024, welchem sich bis heute über 140 Spitäler bzw. NHS-Trusts angeschlossen haben. Benannt wurde das Projekt nach einem 13-jährigen Mädchen, welches 2021 gestorben war, nachdem die Ärzte eine Sepsis unterschätzt haben, obwohl die Angehörigen mehrfach auf gesundheitliche Verschlechterungen hingewiesen hatten. Infolgedessen war man zur Einsicht gelangt, dass man Bedenken von Angehörigen und Aussenstehenden ernst nehmen muss.
Die Daten zum noch jungen Projekt sprechen für eine Erfolgsstory: In rund sechs Monaten, von September 2024 bis Februar 2025, kam es zu 2’289 Interventionen im Rahmen des Martha’s-Rule-Verfahrens, wodurch in 129 Fällen ein lebensrettender Eingriff ausgelöst wurde. In 340 Fällen führte die Einmischung zur Lösung klinischer Probleme und in 448 Fällen wurden Kommunikationsprobleme behoben. Intervenieren sollen dabei nicht nur die Angehörigen, sondern beispielsweise auch Pflege- oder sonstiges Personal, das am Rande involviert ist.
Auch das Fazit der Spitalmanager ist positiv, lässt sich doch der ärztliche Leiter des NHS wie folgt zitieren: «Martha’s Rule ist noch nicht einmal ein Jahr in Kraft und schon jetzt handelt es sich um eine der bedeutendsten Veränderungen in der Patientensicherheit der letzten Jahre. Hunderte von Anrufen haben zu Verbesserungen in der Patientenversorgung geführt – und zweifellos Leben gerettet.»
Prof. Dr. med. Martin Stocker, Leiter des Kinderspitals Luzern und Chefarzt Neonatologie, will nach einem tragischen Todesfall nun reagieren und ebenfalls die Einführung von «Martha’s Rule» fordern, um die Patientensicherheit zu verbessern (so jedenfalls wurde er damals zitiert).
Unseres Erachtens ist dies eine erfreuliche Entwicklung. Wesentlich ist aus unserer Sicht dabei auch, dass die Beobachtungen der Angehörigen und Dritten direkt Eingang in die Patientendokumentation finden. Dies dient primär dazu, die Patientensicherheit effektiv zu verbessern, indem den Beobachtungen und Hinweisen auch tatsächlich nachgegangen wird, was bei mündlichen Hinweisen im hektischen Alltag leider häufig untergeht. Weiter dient es aber auch dazu, dass die Patientenakte bzw. Krankengeschichte nicht – wie bisher – einseitig aus Einträgen der Behandler besteht, welche natürlich im Regelfall nichts dokumentieren, was gegen sie ausgelegt werden könnte bzw. für einen Behandlungsfehler sprechen würde. Nachdem in Haftpflichtfällen die Gutachterperson häufig auf die Krankengeschichte abstellt, wäre es nach unserem Dafürhalten wichtig, dass die Hinweise der Angehörigen bzw. von Dritten ebenfalls Niederschlag in die Krankengeschichte finden.