Wo schmerzt’s am meisten?, Genugtuung in der Schweiz und im internationalen Vergleich, Anwaltsrevue 6/7/2022, S. 254, Martin Hablützel

Solange ein Schaden zu ersetzen ist, besteht in den europä­ ischen Ländern häufig Konsens über die Frage, wie dieser zu bemessen ist. Weit verbreitet ist auch der Grundsatz, dass im Falle einer Haftung die geschädigte Person schad­ los zu halten ist und demnach der Schädiger den ganzen Schaden zu decken hat. Geht es aber um den Ersatz des nicht pekuniären Scha­ dens bzw. einer immateriellen Unbill, so variieren die Vor­ stellungen über die angemessene Abgeltung nicht nur in den verschiedenen Ländern und Kulturkreisen, sondern auch bei den schweizerischen Gerichten stark. Die Höhe der Entschädigung spiegelt zum einen das Wertesystem, zum anderen divergieren die Ansichten darüber, ob über­ haupt und wenn ja wie ein Unrecht auszugleichen ist.
Gilt im Norden die lutheranische Haltung, wonach Leid und Schmerz klammheimlich zu ertragen sind, während man sich im katholischen Süden in eine gesellschaftlich sanktionierte Trauerekstase werfen darf? Spiegelt sich die unterschiedliche Haltung in den Rechtsordnungen und in Höhe zur Genugtuung?


Abstellend auf Lehre und – die nicht immer konsisten­ te – Praxis in der Schweiz und mit Blick auf zweckmässige Entwicklungen zum Genugtuungsrecht im Ausland wird versucht, eine «billige» und pragmatische Lösung für die Schadenerledigungspraxis in der Schweiz zu finden.