Unglück am Berg – wer haftet?

28. November 2018

Im ersten Halbjahr 2018 verzeichnet der Schweizerische Alpenclub SAC so viele Bergtote wie noch nie. Am meisten tödliche Unfälle passierten bei Skitouren und beim Bergwandern, Tendenz in allen alpinen Aktivitäten zunehmend. Gründe für die Zunahme der Unfälle in diesem Jahr sind die grossen Schneemengen und der rasche Wechsel vom Winter zum Hochsommer. Generell gilt, dass je mehr Leute in den Bergen sind, es desto öfter zu Unfällen kommt. Aber: Viele unerfahrene Berggänger sind häufig unvorbereitet und ohne die geforderte Ausrüstung unterwegs. Was mehr erstaunt, ist, dass häufig auch erfahrene Seilschaften mit ausgebildeten Bergführern in Not geraten. So geschehen am Pigne D’Arolla im Unterwallis, wo sieben Tourengänger mit dem italienischen Bergführer in der Nachtkälte verstarben.

Grundsätzlich gilt in den Bergen die Selbstverantwortung. Wie verhält es sich aber, wenn jemand auf einer begleiteten Bergtour, die von erfahrenen Personen oder Bergführern geleitet wird, sich verletzt oder tödlich verunglückt? Unter diesen Umständen ist eine Haftung aus Vertragsrecht oder gemäss Art. 41 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) zu prüfen.

Berg- und Skitourenführer, welche ihre Dienste gewerbsmässig anbieten, sind dem Bundesgesetz über das Bergführerwesen und Anbieten weiterer Risikoaktivitäten, sogenanntes Risikoaktivitätengesetz, unterstellt. Sie bedürfen einer Bewilligung, eines eidgenössischen Fachausweises oder eines ähnlichen in- oder ausländischen Fähigkeitsausweises. Solche Fachpersonen haben erhöhte Sorgfaltspflichten; so müssen sie etwa ihre Kunden über die Gefahren aufklären und sich vergewissern, dass diese ein ausreichendes Leistungsvermögen für die geplante Tour haben. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass die richtige Ausrüstung und mängelfreies Material dabei ist. Sie verpflichten sich zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung oder bieten sonstwie Sicherheit für die Deckung von Personenschäden. Ereignen sich Unfälle, welche auf ungenügende Vorbereitung,  mangelhafte Ausrüstung oder risikobehaftete Tourenwahl zurückzuführen ist, so werden sie schadenersatzpflichtig. Dasselbe trifft grundsätzlich zu, wenn die Gruppe oder ein Teil davon in einer Lawine verschüttet wird, in ein Unwetter gerät oder vom geplanten Weg abkommt. Verunglückt der Tourenführer selbst tödlich, so richten sich die Ansprüche gegen die Erbengemeinschaft, wobei die Berufshaftpflichtversicherung deckungspflichtig ist. Steht hinter einem Bergführer eine Organisation, so haftet diese bzw. deren Betriebshaftpflichtversicherung, allenfalls im Rahmen der Hilfspersonenhaftung.

Wie sieht es aus bei von Privaten oder Freunden geleiteten Touren oder bei einfachen Touren- oder Kletterpartnerschaften? Für Berg- oder Tourenführer, die höchstens gelegentlich eine solche Tour entgeltlich oder unentgeltlich anbieten, kommt das Risikoaktivitätengesetz nicht zur Anwendung. Sind Private, die eine Tour leiten oder auch nur begleiten, nicht zur gleichen Sorgfalt verpflichtet und können sie nicht doch zur Rechenschaft gezogen werden?

Wie so häufig in der Jurisprudenz bleiben viele Antworten offen und mangels einer breiten Gerichtspraxis lässt sich höchstens spekulieren, wie ein Richter im Einzelfall entscheiden würde.

Nach Deliktsrecht gemäss Art. 41 OR haftet eine Person (zivilrechtlich), sofern sie einer anderen schuldhaft und widerrechtlich einen Schaden zufügt. Bei der Frage, ob bei einem oder mehreren Teilnehmern einer Bergtour ein Verschulden vorliegt, wird geprüft, ob eine Pflicht zur Abwehr der Gefahr besteht. Eine solche ist bei freiwillig eingegangenen Gefahrengemeinschaften (wie etwa den Bergseilschaften) oder wenn jemand eine Gefahr für einen anderen schafft (sog. Ingerenz) zu bejahen (vgl. Art. 11 Abs. 2 lit. c u. d StGB). Vorausgesetzt wird dabei, dass eine Möglichkeit bestand, die Gefahr abzuwenden, etwa durch exakte Vorbereitung, korrekte Wahl der Route, exakte Wettervorschau, richtige Ausrüstung und Instruktion, Rücksichtnahme auf Gesundheit und Fähigkeiten der Teilnehmer etc. Hinzu kommen die Pflichten der Solidarität und Hilfeleistungen bei Notlagen von Teilnehmern (vgl. auch Art. 128 StGB).

Unter Umständen greift aber eine Haftung aus Vertrag bzw. aus einfacher Gesellschaft. Eine solche setzt voraus, dass ein gewisser rechtlicher Bindungswille vorhanden ist, beispielsweise, wenn jemand für alle den Transport oder die Unterkunft reserviert, die Ausrüstung besorgt oder Kosten und Aufgaben aufgeteilt werden. Ein Vertrag ist auf jeden Fall anzunehmen, wenn einzelne Personen aufgrund ihrer leitenden Stellung oder der Übernahme von Aufgaben keinerlei Kosten tragen. Aber selbst wenn es an all diesen Umständen fehlt, kann eine Haftung aus Gefälligkeit bejaht werden. Begleitet z.B. eine bergerfahrene Person eine unerfahrenere Gruppe oder Freunde aus Gefälligkeit, so kann der Gefällige (d.h. die erfahrene Person) dennoch (aus Art. 41 OR) haften. Er muss dann aber nur jene Sorgfalt anwenden, die er für sich selbst beachten würde (sog. eigenübliche Sorgfalt oder diligentia quam in suis, vgl. BGE 137 III 539 Erw. 5.2). Hatte der Gefällige indessen ein eigenes Interesse an der Begleitung der Gruppe, so kann daraus eine vertragliche  oder vertragsähnliche Haftung abgeleitet werden.

Insofern lässt sich auf Bergtouren eine Haftung für jeden Teilnehmer nicht von vornherein ausschliessen, weshalb schadenanwaelte allen Berg- oder Tourengängern den Abschluss von Privathaftpflichtversicherungen ans Herz legen. Und damit im Falle eines Bergunglückes nicht irgend ein Haftungsausschluss im Kleingedruckten greift, empfiehlt sich, bei Vertragsabschluss auf solche Hobbies hinzuweisen.

Zur Statistik des SAC, vgl. Tages-Anzeiger vom 17.9.2018

Martin Hablützel