Im Zug gestürzt – die SBB haften
25. April 2023
Tagesanzeiger – Gemäss einem rechtskräftigen Gerichtsurteil müssen die Bundesbahnen Schadenersatz leisten, wenn Fahrgäste im ruckelnden Zug verunfallen. Was das für Passagiere bedeutet.
Eine ältere Frau war in einem SBB-Zug auf dem Weg zu ihrem Sitzplatz. Just in diesem Moment fuhr der Zug über eine Weiche, es gab eine ruckartige Bewegung und die Frau stürzte auf die linke Seite. Dabei brach sie sich den Schenkelhalsknochen. Der Unfall hat ein gerichtliches Nachspiel, wie die Zeitungen der Tamedia schreiben. Die Versicherung der Frau will, dass die SBB für die Behandlungskosten aufkommt. Kostenpunkt: 85’000 Franken. Die SBB weigert sich jedoch, es kommt zu einem Verfahren am Berner Handelsgericht. Die beiden Parteien wollen ein Präjudiz, ein Urteil mit Leitcharakter. Dieses soll als Orientierungshilfe für ähnliche Fälle dienen. Es geht um die Auslegung des Eisenbahngesetzes, das sämtliche Personentransporte auf Schienen umfasst, also beispielsweise auch im Tram.
Das rechtskräftige Urteil vom 24. Mai 2022 in diesem Fall fiel klar aus. Die Haftung geht vollumfänglich zulasten der SBB. Neben den Behandlungskosten muss die Bundesbahn auch noch die gesamten Gerichtskosten und Parteientschädigung bezahlen. Das Handelsgericht in Bern kam zum Schluss, dass ruckartige Bewegungen beim Überfahren einer Weiche zum Risiko des Bahnbetriebs gehören. Gemäss Gesetz haftet die Bahn für solche Risiken.
Auf Anfrage der Tamedia-Zeitungen bestätigt die SBB das Urteil. Sie bedauert zudem den Zwischenfall, für den Bahnverkehr und Reisende soll es keine weitere Folgen haben, so die SBB. Man wähle die Geschwindigkeit der Züge so, dass ein Überfahren von Weichen nicht gefährlich sein sollte. Den Fahrgästen wird vonseiten der SBB empfohlen, sich festzuhalten, wenn sie während der Fahrt aufstehen.
Kommen jetzt Warnhinweise?
Martin Hablützel, Fachanwalt Haftpflicht und Versicherungsrecht bei der Kanzlei Schadenanwälte in Zürich, sagt: «Die SBB darf früher oder später in ihren Zügen Warnhinweise auf Schildern anbringen, mit denen sie die Fahrgäste auffordert, sich während der Fahrt festzuhalten oder in der Nähe eines grösseren Bahnhofs zu sitzen.» Von allen Haftungsansprüchen befreit sei die SBB mit solchen Warnhinweisen jedoch nicht, es könne aber für Geschädigte und deren Versicherungen schwieriger werden, diese vollumfänglich durchzusetzen, so Hablützel.
Wo liegt jedoch der Unterschied, ob die Versicherung oder die SBB haftet? Der Grund liege zwischen den Leistungen einer Versicherung und dem Schadenersatz aus einer Haftpflicht. So könnten die Ansprüche vom Haftpflichtrecht spürbar weitergehen. Bei einem Erwerbsausfall bezahle die Unfallversicherung Heilungskosten und 80 Prozent des Lohns. Nach Haftpflichtrecht könne eine verunfallte Person 100 Prozent ihres Gehaltes geltend machen.