Schwer verletzte Kinder: Wie können Eltern die notwendige Pflege finanzieren?
16. Dezember 2021
Wenn das Unvorstellbare trotzdem eintritt, lassen auch finanzielle Probleme – neben dem persönlichen Leid – oft nicht lange auf sich warten. Durch die oft notwendige ständige Anwesenheit eines Elternteils im Spital und der teils anschliessend erforderlichen Pflege und Betreuung zu Hause, sind Eltern von schwer erkrankten oder verunfallten Kindern vor grosse organisatorische und finanzielle Herausforderungen gestellt.
Falls jemand für die Unfallfolgen haftet und dafür versichert ist, sollten sich in den meisten Fällen mit den involvierten Haftpflichtversicherungen Lösungen finden lassen, welche den Familien – trotz aufwändiger Pflege – ein Leben im gleichen finanziellen Rahmen wie vor dem Unfall, ermöglichen sollten. Oft haftet jedoch niemand. In diesem Fall und wenn sonst niemand für die Pflege aufkommt, haben die Eltern folgende Möglichkeiten, die teils helfen können, die einschneidenden finanziellen Folgen abzufedern:
Betreuungsentschädigung (Art. 16n ff. EOG)
Wenn Eltern ihrem Beruf wegen der Betreuung ihres gesundheitlich schwer beeinträchtigten Kindes nicht mehr nachgehen können, haben sie seit diesem Sommer von Gesetzes wegen Anspruch auf einen bezahlten Betreuungsurlaub von 14 Wochen (98 Taggelder). Der über die Erwerbsersatzordnung (EO) entschädigte Urlaub kann innerhalb von 18 Monaten, am Stück oder tageweise, bezogen werden. Geltend gemacht wird der Anspruch bei der zuständigen Ausgleichskasse.
Hilflosenentschädigung und Intensivpflegezuschlag (Art. 42 ff. IVG)
Wenn ein Kind krankheits- oder unfallbedingt in mehreren alltäglichen Lebensverrichtungen (Ankleiden/Ausziehen; Aufstehen/Absitzen/Abliegen; Essen; Körperpflege; Verrichten der Notdurft; Fortbewegung und Pflege gesellschaftlicher Kontakte) dauernd auf Hilfe anderer Personen angewiesen ist, kann bei der IV eine Hilflosenentschädigung beantragt werden.
Zeichnen sich bleibende Einschränkungen ab, welche eine dauernde Hilfe notwendig machen, sollte bei Kindern im ersten Lebensjahr bereits vor Spitalaustritt die Anmeldung für eine Hilfslosenentschädigung eingereicht werden, da bei ihnen der Anspruch sofort besteht, wenn die Hilflosigkeit voraussichtlich mehr als zwölf Monate dauert. Bei Kindern ab dem zweiten Lebensjahr besteht der Anspruch erst, wenn die Voraussetzungen während mindestens einem Jahr erfüllt gewesen sind.
Zusätzlich zur Hilflosenentschädigung erhalten Kinder, die – im Vergleich zu gleichaltrigen, nicht eingeschränkten Kindern – eine tägliche Pflege von durchschnittlich 4 Stunden/Tag oder mehr benötigen, einen Intensivpflegezuschlag (Art. 39 IVV).
Assistenzbeiträge (Art. 42quater Abs. 1, Abs. 3 IVG i.V.m. Art. 39a ff. IVV)
Assistenzbeiträge ermöglichen es den Eltern Personen anzustellen, welche helfen, den zusätzlichen und regelmässigen zeitlichen Hilfebedarf eines Kindes zu Hause abzudecken.
Der Anspruch entsteht dann, wenn;
ein Kind Anspruch auf Intensivpflegezuschlag für einen Pflege- und Überwachungsbedarf von mindestens 6 Stunden/Tag hat;
ein Kind regelmässig die obligatorische Schule in einer Regelklasse besucht, eine Berufsausbildung auf dem regulären Arbeitsmarkt oder eine andere Ausbildung auf Sekundarstufe II absolviert; oder
ein Kind während mindestens 10 Stunden/Woche eine Erwerbstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt ausübt.
Der Anspruch entsteht frühestens mit der Einreichung der Anmeldung. Die IV bezahlt nur Leistungen, die von natürlichen Personen im Rahmen eines Arbeitsvertrages erbracht werden. Organisationen (Spitex etc.) und direkte Familienangehörige können nicht über den Assistenzbeitrag entschädigt werden.
Spitex-Pflege
Wie Erwachsene auch, haben Kinder grundsätzlich Anspruch auf professionelle Pflege zuhause. Doch auch die Pflege zuhause untersteht dem in der Krankenversicherung geltenden Grundsatz, dass Leistungen «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich» sein müssen (Art. 56 KVG). Falls ambulante Pflegeleistungen in hohem Ausmass benötigt werden, kann die Krankenversicherung unter gewissen Umständen zum Schluss gelangen, dass eine Pflege in diesem Umfang – im Vergleich zu allfälligen Alternativen – nicht wirtschaftlich ist. Dazu muss jedoch ein «grobes Missverhältnis» bestehen (BGE 126 V 338 E. 2). In der Rechtsprechung unter diesem Aspekt diskutiert wird insbesondere die alternative Unterbringung in einem Pflegeheim. Diesbezüglich findet man keine prozentuale Obergrenze, ab welcher automatisch von einem groben Missverhältnis gesprochen wird. Wenn eine ambulante Pflege zu Hause wirksam und zweckmässig ist, wurde sie vom Bundesgericht auch schon bei 3,5-mal höheren Kosten als angemessen beurteilt (BGE 126 V 334 E. 3b).
Anstellung von pflegenden Eltern bei einer Spitex
Angehörige, die ihr minderjähriges Kind zu Hause selber pflegen möchten, empfehlen wir in vielen Fällen, sich von einer Spitex anstellen zu lassen. Dadurch erhalten sie für die Pflege des eigenen Kindes einen Lohn, welcher letzten Endes via Krankenversicherung abgerechnet werden kann (vgl. Ziff. 4). Ohne entsprechende Ausbildung können Angehörige jedoch einzig für Grundpflegeleistungen entschädigt werden (u.a. BGE 145 V 161 E. 5.3).