NZZ am Sonntag, eBikes: Doppelte Geschwindigkeit, 4-fache Energie und keine Haftung?

11. September 2018

Im Jahr 2018 werden mutmasslich mehr als 100’000 Elektrovelos verkauft werden. Das ist fast 10 mal mehr als noch vor 10 Jahren und es ist zu vermuten, dass ca. 1⁄2 Million eBikes auf den Schweizer Strassen verkehren, Tendenz weiter steigend!

Die eBikes und eMountainbikes bis 45 km/h machen etwa einen Viertel aus, der grosse Teil bietet bloss eine Tretunterstützung bis 25 km/h. Gemäss Bundesamt für Unfallverhütung BfU haben sich im Jahr 2017 annähernd 1’000 Unfälle ereignet, an welchen mindestens ein eBike beteiligt war; in 230 Fällen hat sich eine unfallbeteiligte Person schwere Verletzungen zugezogen. Neben den Selbstunfällen (ca. 1/3), sind eBike-Fahrer häufig Opfer von Kollisionen mit Autos. Bei einem Grossteil solcher Unfälle liegt das Verschulden beim Autolenker, weil dieser das eBike schlicht übersehen oder dessen Geschwindigkeit falsch eingeschätzt hat. Eine weitere Kategorie von Unfällen mit eBikes, welche stark zunimmt, stellen Unfälle auf Radwegen dar, wenn eBikes mit normalen Velos oder mit Fussgängern kollidieren.

Von Gesetz wegen werden eBikes in zwei Kategorien unterteilt: Jene, welche eine Motorleistung von höchsten 1 kW haben und deren elektrischer Antrieb mit Tretunterstützung höchstens bis 45 km/h wirkt (gelbes Nummernschild) und solche mit maximal 0,5 kW Motorleistung und einer Wirkung bis höchstens 25 km/h. Fahrräder mit Tretunterstützung bis 25 km/h gelten dabei als sogenannte Leicht-Motorfahrräder (Art. 18 lit. b der Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge, VST), solche mit Unterstützung bis 45 km/h als Motorfahrräder.

Während Leicht-Motorfahrräder von der Versicherungspflicht ausgenommen sind (vgl. Art. 38 Abs. 1 lit. c der Verkehrssicherungsverordnung, VVV), sind die am gelben Nummernschild erkennbaren, schnelleren eBikes obligatorisch zu versichern, gleich den bekannten Mofas mit Verbrennungsmotor.

Wird durch den Betrieb eines Motorfahrzeuges ein Mensch getötet oder verletzt oder Sachschaden verursacht, so haftet der Halter für den Schaden. Er haftet, selbst wenn ihn kein Verschulden trifft (Art. 58 ff. SVG). Es handelt sich dabei um eine Haftung für die sogenannte Betriebsgefahr des motorisierten Fahrzeuges. Unabhängig von der Stärke der Tretunterstützung haften die Benützer beider eBike-Varianten nicht für die Betriebsgefahr sondern gleich wie die Fahrer von normalen Velos einzig nach Obligationenrecht (Art. 38 Abs. 2 VVV; Art. 70 Strassenverkehrsgesetz, SVG) und damit nur bei Verschulden.

Verletzt ein eBike-Lenker einen normalen Velofahrer oder einen Fussgänger, so muss ihm somit ein Verschulden nachgewiesen werden. Andernfalls geht das Opfer leer aus und es erhält weder Schadenersatz noch eine Genugtuung. Ein Fehlverhalten des eBike–Fahrers ist schwierig zu beweisen. Häufig gibt es bei solchen Zusammenstössen keine (Brems-)Spuren; die Unfallfahrzeuge werden von der Fahrbahn geräumt, bevor die Polizei eintrifft; der Kollisionsort und die Geschwindigkeiten können nicht mehr ermittelt werden; Augenzeugen sind selten und können meist nichts über den exakten Unfallhergang sagen. Ohne Spuren und mangels Blechschäden fehlt es an Grundlagen für Unfallexpertisen. Kann dem eBike-Fahrer kein Fehlverhalten nachgewiesen werden oder ist ein solches nur möglich, so verliert das Opfer jeglichen Anspruch auf Schadenersatz und damit letztlich auch den Prozess. Eine

rasche Abklärung des Sachverhaltes, die Sicherung aller möglichen Beweismittel, wie etwa der Aufruf von Zeugen ist unerlässlich.

Dass ein Fussgänger, der von einem normalen eBike angefahren wird, wesentlich schlechter gestellt ist, als wenn er mit einem Roller, Auto oder einem anderen Motorfahrzeug kollidiert, ist stossend. Es gibt keinen Grund für diese ungleiche Behandlung. Geschwindigkeit, Gewicht und die Aufprallkräfte beim eBike sind vergleichbar mit jenem anderer Motorfahrzeuge. Hinzu kommt, dass eBikes häufig von Betagten gelenkt werden, welche nicht über die gleiche Reaktionsfähigkeit verfügen. Das Verkehrsopfer sucht sich den Täter nicht aus.

schadenanwaelte setzt sich für die gleiche Haftung aller eBikes wie bei Motorfahrzeugen ein. Der Schutz des Verkehrsopfers muss im Zentrum stehen. So wie es uns Autolenkern als Pflicht erscheint, dass die Haftpflichtversicherungen für Schäden von verletzten Verkehrsopfern aufkommen, dürfte es auch den eBike-Lenkern nur recht sein, dass Ansprüche nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer angemessen befriedigt werden.

Kampf auf der Strasse, NZZ am Sonntag vom 9. September 2018, S. 16 u. 17