Lassen Sie sich mündliche Auskünfte stets schriftlich bestätigen!

21. September 2022

Das sozialversicherungsrechtliche Verfahren ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht, was bedeutet, dass der rechtserhebliche Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen ist. Die Abklärungen sind aktenkundig zu machen, um ein nachvollziehbares und transparentes Verwaltungshandeln zu sichern. Zur Durchsetzung dient die Aktenführungspflicht, welche vorsieht, dass die Versicherungsträger für jedes Sozialversicherungsverfahren alle massgeblichen Unterlagen systematisch zu erfassen haben (Art. 46 ATSG). Gestützt darauf sind auch mündlich erteilte Auskünfte schriftlich festzuhalten und in die Akten aufzunehmen (Art. 43 Abs. 1 ATSG). Was ist nun aber die (beweisrechtliche) Folge, wenn dieser Grundsatz von der Verwaltung verletzt wird? Die Antwort finden Sie in diesem Beitrag.

In einem von schadenanwaelte geführten Mandat hat das Bundesgericht eine Verletzung der Aktenführungspflicht festgestellt, da ein Telefonat zwischen dem Versicherten und einem Mitarbeiter der Arbeitslosenkasse trotz entscheidrelevantem Inhalt nicht in einer Aktennotiz festgehalten wurde. Auslöser für die Streitigkeit war eine anlässlich dieses Gesprächs falsch mitgeteilte Information, welche den Versicherten dazu veranlasste, sich zwei Jahre vor dem ordentlichen Rentenalter bei der AHV pensionieren zu lassen. In der Folge stellte die Arbeitslosenkasse den Anspruch auf Arbeitslosengelder mit der Begründung ein, dass ein gleichzeitiger Bezug von AHV-Rentenleistungen und Arbeitslosenentschädigung nicht möglich sei, was grundsätzlich der geltenden Rechtslage entspricht, dem Versicherten aber vorgängig anders in Aussicht gestellt wurde. Die fehlende Aktennotiz führte dazu, dass der Inhalt des Gesprächs und damit die falsche Information im Nachhinein nicht mehr bewiesen werden konnte.

Trotz der Verletzung der Aktenführungspflicht ging das Bundesgericht nicht von einer Umkehr der Beweislast aus, obwohl das Fehlen des Beweismittels auf ein Verhalten der Arbeitslosenkasse zurückzuführen war. Vielmehr hielt es fest, dass es nicht überspitzt formalistisch sei, wenn von versicherten Personen verlangt wird, leistungsrelevante Anfragen bei der Verwaltung nicht telefonisch, sondern schriftlich zu stellen und sich telefonische Auskünfte schriftlich bestätigen zu lassen. Dies müsse auch für den vorliegenden Fall gelten, insbesondere wenn die Auskunft in der vom Versicherten geltend gemachten Weise und der damit für ihn verbundenen beträchtlichen Tragweite erteilt worden sei. Die Beweislosigkeit wirke sich folglich zu seinen Lasten aus (E. 6.2).

Die Aktenführungspflicht wird damit zur Alibiübung und die Verantwortung zur Sicherung des Beweismaterials im Grunde genommen auf die versicherte Person abgewälzt. Es wird daher dringend empfohlen, sich mündlich erteilte Auskünfte – ob an Beratungsgesprächen oder Telefonaten – stets schriftlich bestätigen zu lassen, damit der Inhalt rekonstruiert werden kann, was spätestens dann relevant wird, wenn sich die Auskünfte im Nachhinein als falsch herausstellen.

Übrigens: Bei einer freiwilligen Frühpensionierung in der AHV ist der Bezug von Arbeitslosentaggeldern nicht möglich. Dies im Unterschied zur beruflichen Vorsorge, in der trotz Bezug von Altersleistungen Arbeitslosentaggelder bezogen werden können; dies jedoch unter Anrechnung der Altersrente der Pensionskasse.

Urteil des Bundesgerichts vom 4. Mai 2022 im Verfahren 8C_545/2021