Krankentaggeld: Vorsicht bei Arbeitsversuchen!

30. März 2022

Wer krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist, erhält oft Leistungen einer Krankentaggeldversicherung, die den Erwerbsausfall abdecken soll. Wer während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit trotzdem seiner Arbeitstätigkeit nachgeht – sei dies auch nur während weniger Stunden – riskiert, seinen Anspruch vollumfänglich zu verlieren bzw. die ausbezahlten Versicherungsleistungen später in vollem Umfang zurückerstatten zu müssen.

Das Bundesgericht hatte kürzlich den Fall eines Taxifahrers (Einzelunternehmer) zu beurteilen, der aufgrund einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit Taggeldzahlungen seiner Versicherung erhielt. Während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit unternahm er eine Taxifahrt, anlässlich welcher es nach kurzer Zeit zu einer Kollision kam. Gemäss dem Taxifahrer handelte es sich bei dieser Fahrt um einen blossen Arbeitsversuch. Diesen hatte er der Versicherung nicht gemeldet und diese erfuhr erst nachträglich davon, nachdem sie mehrere weitere Monate Zahlungen geleistet hatte.

Das Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG) sieht in Art. 40 vor, dass die Versicherung nicht mehr an den Versicherungsvertrag gebunden ist, wenn der Anspruchsberechtigte die Versicherung über wesentliche Umstände täuscht oder dieser relevante Tatsachen verschweigt. Liegen diese Voraussetzungen vor, muss die Versicherung keine Leistungen mehr erbringen und kann die bereits ausgerichteten Zahlungen zurückfordern.

Gemäss dem Bundesgericht waren die Voraussetzungen von Art. 40 VVG im vorliegenden Fall erfüllt. Es qualifizierte die Taxifahrt als Wiederaufnahme der Arbeit, worüber der Taxifahrer bewusst geschwiegen habe, damit die Versicherung keine Anpassung der Taggelder vornimmt und weiterhin das Taggeld auf Basis einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit ausrichtet. Als Folge davon musste der Taxifahrer den Betrag von knapp CHF 50’000.- zuzüglich Verzugszins zurückerstatten.

Dieses Beispiel zeigt, dass in solchen Fällen grösste Vorsicht geboten ist. Insbesondere Einzelunternehmer sind (verständlicherweise) dazu geneigt, schnellstmöglich wieder ihre Tätigkeit aufzunehmen bzw. einen entsprechenden Versuch zu unternehmen. Ein Wiedereinstieg sollte in jedem Fall zunächst mit dem behandelnden Arzt abgesprochen und schriftlich korrekt dokumentiert werden, indem entsprechende Arztzeugnisse mit Angabe des Arbeitsunfähigkeitsgrads ausgestellt werden oder die Aufnahme eines Arbeitsversuchs empfohlen wird. Bei Vorliegen einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit sollte ein Arbeitsversuch zudem nicht ohne vorgängige Rücksprache mit der Versicherung erfolgen. Falls eine teilweise Arbeitsunfähigkeit besteht, ist darauf zu achten, dass die Tätigkeit nur im Pensum der bestehenden Arbeitsfähigkeit wieder aufgenommen wird. Werden diese Grundsätze beachtet, sollten unliebsame Überraschungen vermieden werden können.

Urteil des Bundesgerichts vom 11. Januar 2022 im Verfahren 4A_394/2021