Genugtuungstarife: Mehr Transparenz und Fairness

22. September 2022

Einfach bestimmbare Tarife sollen zu mehr Transparenz und Fairness bei der Ermittlung der Genugtuungsansprüche führen. Wer heute Schmerzensgeld für eine körperliche oder psychische Verletzung oder für den Verlust eines Angehörigen beanspruchen will, muss sich in einem Dickicht von Urteilen aller Instanzen aus den Bereichen des Zivil-, des Straf- und des Opferhilferechts jene Urteile herauspicken, welche den eigenen Fall am besten abbilden. Die abwehrende Versicherung wird dann ein halbes Dutzend andere Urteile zitieren, um den Betrag nach unten zu drücken. Genugtuungstarife würden diesbezüglich Abhilfe schaffen. Im vorliegenden Beitrag wird ein entsprechender Vorschlag präsentiert.

Die eingehend geschilderte Problematik führt dazu, dass die Opfer oder deren Angehörige völlig unterschiedlich abgegolten werden und sie der Kompetenz, dem Verhandlungsgeschick und der Laune ihrer Anwältin oder des Schadeninspektors ausgesetzt sind. Vor den Gerichten ist man gehalten, Romane zu schreiben über die Art und Dauer der Schmerzen und alltäglichen Belastungssituation oder das besondere, innige Verhältnis zum Getöteten.

Bei Spital- oder Klinikaufenthalten oder bei „nur“ vorübergehenden Schmerzen existiert zudem gar keine Praxis für die Bestimmung des Schmerzensgeldes. Dabei ist die Höhe des Schmerzensgeldes bei der Klientschaft häufig die bedeutsamste Position, denn die Höhe des Schmerzensgeldes ruft häufig eine besondere Befriedigung oder Entrüstung bei den Betroffenen hervor. Sie verkörpert die Bereitschaft der Gegenpartei zur Wiedergutmachung des Unheils. So fühlt sich die geschädigte Person bei der Offerte einer tiefen Genugtuung in ihrem Leiden nicht ernst genommen.

Es ist deshalb für die Betroffenen, wie für die Gerichte, die Versicherungen und die Anwaltschaft hilfreich, dass diese nur schwer bezifferbaren Beeinträchtigungen fair und egalitär ermittelt werden. Das führt zu mehr Akzeptanz der Gerichtsurteile und der offerierten Versicherungsleistungen. In Anlehnung an die (häufig uneinheitliche) Praxis der Gerichte und die Massstäbe, welche in Verhandlungen mit den Versicherungen angewendet werden, wurde ein einfaches, pragmatisches Tarifsystem entwickelt, um die Genugtuungsleistungen temporärer und dauerhafter Personenschäden zu bestimmen. Auch bei Verlust des Ehegatten/Partners, der Kinder, Grosskinder oder Eltern werden Richtwerte für die Genugtuung und bestimmte zusätzliche Kriterien (beispielsweise bei Verlust des Einzelkindes oder einzigen Elternteils) festgelegt.

Weil sich die Tarife an den Integritätsentschädigungen der Unfallversicherungen orientieren, kann auf jene medizinischen Abklärungen abgestellt werden. Da diese in Prozenten des höchst versicherten Verdienstes (aktuell bei CHF 148’200.-) bemessen werden, wird auch der Kaufkraft und der Entwicklung des Lebensstandards Rechnung getragen.

Alle Akteur:innen bei den Gerichten, Versicherungen und in der Anwaltschaft sind eingeladen, diese Tabellen bei der Bestimmung der Genugtuungssummen anzuwenden:

Tabelle Genugtuungstarife

Martin Hablützel, Wo schmerzt’s am meisten? Die Genugtuung in der Schweiz und im internationalen Vergleich, Anwaltsrevue 6/7/2022 S. 254 ff.