Erfahrungen mit Patientendokumentationen und deren Würdigung durch Gerichte
28. März 2019
Verlangt man von Schweizer Spitälern Einsicht in die Patientendokumentation, erhält man oft einen nicht vollständigen, grösseren Stapel ungeordneter (unchronologischer) Berichte oder aber ein pdf mit Hunderten von Seiten, häufig mit sich teilweise wiederholenden oder mit teilweise falsch eingescannten Dokumenten („z.B. Dokumente auf dem Kopf“). Nicht selten keimt bei der Durchsicht der medizinischen Akten die Frage auf, ob es sich dabei um Absicht oder Unvermögen der Spitäler handelt oder ob es tatsächlich extrem schwierig ist, eine vollständige, chronologische Patientendokumentation zu führen und herauszugeben. Auch inhaltlich sind sich viele Patientendokumentationen ähnlich.
In der Regel ist der Zustand nach einem Eingriff gemäss Patientendokumentation „viel besser als vor dem Eingriff“ oder bei einer Kontrolluntersuchung „viel besser als bei der letzten Untersuchung“, dies offenbar häufig ungeachtet des tatsächlichen (schlechteren) Zustandes des Patienten. Solche Beobachtungen lassen Zweifel an der Richtigkeit der Dokumentationen aufkommen.
Die Krankengeschichte muss vollständig sein und über die wirklichen Geschehnisse informieren; aufzeichnungspflichtig sind dabei alle für die ärztliche Behandlung wesentlichen Fakten. Eine fehlende oder mangelhafte Dokumentation soll zu einer Herabsetzung des Regelbeweismasses oder bei Vorliegen eines Verschuldens zu einer Umkehr der Beweislast führen (vgl. BGE 141 III 363 mit Hinweis auf BGer 4C.378/1999 vom 23. November 2004). Soweit die Theorie. Wann nun aber in der Praxis eine Herabsetzung des Regelbeweismasses oder eine Umkehr der Beweislast zur Anwendung kommt, ist oft unklar und hängt wie so oft nicht zuletztvom urteilenden Richtergremium ab (vgl. auch hier den Fall in BGE 141 III 363, in welchem das Bundesgericht diesbezüglich anders entschieden hatte wie die beiden Vorinstanzen).
Nachdem in vielen Spitälern dem Personal offenbar verboten wird, in den Krankengeschichten zu vermerken, dass eine CIRS-Meldung gemacht wurde, ist folglich davon auszugehen, dass auch der tatsächliche Ablauf, welcher zur CIRS-Meldung geführt hatte, nicht protokolliert werden darf und somit nicht in der Patientendokumentation Niederschlag findet. Dieses Verhalten dient dem Selbstschutz und liegt ein Stück weit in der menschlichen Natur. Das Wissen darum kann nun aber unseres Erachtens zur Schlussfolgerung führen: Jede Patientendokumentation ist vermutungsweise im Sinne des Dokumentierenden beschönigt und informiert somit nicht objektiv und vollständig über die wirklichen Geschehnisse. Aus diesem Grund wäre es wünschenswert, wenn die Gerichte sich dieser Ausgangslage mehr bewusst würden und dem Patienten in jedem Fall Beweiserleichterungen zugestehen, sei es in Form einer Herabsetzung des Beweismasses oder in Form der Umkehrung der Beweislast.