Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 15. April 2021: Asbest: Wann gilt ein Lungenkrebs als Berufskrankheit? Suva muss nochmals über die Bücher!

Ein 57-Jähriger Automechaniker ist an einem Lungenkrebs erkrankt und er verstirbt daran ein Jahr später. Zwischen 1972 und 2004 war er bei Arbeiten an Bremsen, Kupplungen und Schweissarbeiten mit Asbestknetmasse verschiedentlich Asbeststaub ausgesetzt. Während ein Brustfellkrebs (Pleuramesotheliom) regelmässig auf eine Asbeststaub-Exposition zurückgeführt wird, ist die Ursache beim Lungen- und beim Bauchfellkrebs selten eindeutig. Die Suva verlangt deshalb die Erfüllung der sogenannten «Helsinki-Kriterien», worauf auch das Bundesgericht abstellt.

Gemäss diesen Kriterien gilt der Lungenkrebs als asbestbedingte Berufskrankheit, sofern in einer Lungenstaubanalyse eine bestimmte Anzahl Asbestkörperchen entdeckt werden, eine Asbestose vorliegt oder asbestbedingte Pleuraverdickungen vorliegen. Zudem kann der Nachweis erbracht werden, dass in allen Berufsjahren eine Asbestdosis von 25 Faserjahren eingeatmet wurde. Ein Faserjahr entspricht einer einjährigen arbeitstäglich achtstündigen Einwirkung von 1 Mio. Asbestfasern pro Kubikmeter (entsprechend einer Asbestfaser pro Kubikzentimeter).

Während die Arbeitsmediziner der Suva beim Automechaniker zuerst eine Gesamtdosis von 16 Faserjahren ermittelten, ist sie der Kritik von schadenanwalt Martin Hablützel wenigstens teilweise gefolgt und sie hat immerhin 21 Faserjahre anerkannt. Letzterer hat indessen eine Gesamtbelastung von 38,2 Jahren errechnet und exaktere Abklärungen verlangt.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern verlangt mit Urteil vom 15. April 2021, dass die Verhältnisse an den damaligen Arbeitsplätzen so genau als möglich untersucht werden müssen und dabei insbesondere die Art und Weise, wie die Arbeitsposten belegt waren, die hauptsächlichsten Arbeiten des Versicherten, die Bystander-Belastung (also sofern Dritte in gleichen Räumen Asbeststaub produzierten), das Vorliegen von allfälligen asbest-spezifischen Erkrankungen von damaligen Angestellten der fraglichen Betriebe, die genauen Arbeitsvorgänge sowie die Asbestkonzentrationen in der Luft an den verschiedenen Arbeitsposten. Wenn letzteres nicht mehr möglich ist, weil Messungen fehlen, so muss die Suva auf Messwerte zurückgreifen, wie sie in anderen Betrieben und an Arbeitsposten, welche mit denjenigen, die der Versicherte versehen hat, vergleichbar sind, erhoben wurden (Erw. 3.5).

Die Suva kann sich somit nicht auf den Standpunkt stellen, dass es ihr heute, bis zu 45 Jahre später, nicht mehr zuzumuten sei, die Verhältnisse von damals abzuklären. Die Angehörigen der Asbestopfer haben das Recht auf gewissenhafte Untersuchungen. Schliesslich ist es ja die Suva, die als Versicherer der Garagen- und Autobetriebe Kenntnis über Asbesterkrankungen und Todesfälle in diesen Firmen hat.