Eine Verletzung nach einem Händedruck – das Begrüssungsritual in der vorkoronalen Zeit – sei kein Unfall!
15. April 2020
schadenanwaelte verliert vor Bundesgericht. Eine Kollegin schüttelt der anderen beim Verabschieden die Hand so kräftig und ruckartig, dass deren Hand abknickt und sie vor Schmerzen in die Knie sackt. Die obligatorisch gegen Unfall versicherte Beschwerdeführerin leidet noch heute, mehr als zwei Jahre nach dem Ereignis, an Handbeschwerden, welche ihr etwa die Bedienung des Computers verunmöglichen. Dem Ereignis fehle es an der Ungewöhnlichkeit, so das Bundesgericht.
Ungewöhnlich sei ein Ereignis nur, wenn der äussere Faktor nicht mehr im alltäglichen und üblichen Rahmen liege. Der Bewegungsablauf (des Händedruckes) sei nicht durch etwas Äusseres «programmwidrig» beeinflusst worden.
Die allenfalls verheerende Folge sei dabei nicht massgebend. Auch unbeachtlich bleibe deshalb, dass die Mediziner den Zusammenhang der geklagten Beschwerden zum Unfallereignis bejahen würden.
Das Bundesgericht geht also unstreitig von einem äusseren Ereignis aus, aber selbst ein kräftiger Händedruck sei eben nicht ungewöhnlich (Erw. 2.3 u. 4.3).
Dieser Entscheid scheint im Einklang mit der Praxis des Bundesgerichts zum Unfallbegriff und namentlich zum «ungewöhnlichen äusseren Faktor» gemäss Art. 4 ATSG zu stehen. So wird bei vielen unkoordinierten Bewegungen (Stolpern, Ausgleiten, Reflexartiges Abwehren des Ausgleitens, an einen Gegenstand anstossen, Verhebetrauma oder unzählige sportliche Verletzungen) das Merkmal der Ungewöhnlichkeit verneint (BGE 130 V 380; 129 V 402; Urteile U 322/02; 8C_835/2013; U 199/03; 8C_ 693/2010; 8C_186/2011; 8C_189/2010; bejaht in BGE 130 V 117, Bandencheck im Eishockey; BGE 134 V 72, Aufschlagen des Zahnes bei Auto-Scooter).
Eine genauere Betrachtung der Praxis zeigt indessen, dass es den beurteilten Verletzungen jeweils am «äusseren Faktor» mangelte. Dort wo unkoordinierte Bewegungen zu Verletzungen führen, mag diese Praxis gerechtfertigt sein, zumal die Unfallversicherungen auch bei unfallähnlichen Körperschädigungen (Muskelzerrungen, Sehnenrisse, Bandläsionen etc.) im Sinne von Art. 6 Abs. 2 UVG Leistungen erbringen müssen. Vorliegend, wo eine Drittbeteiligung offensichtlich und der gewaltsame Händedruck unbestritten ist, hätte keinerlei Veranlassung bestanden, die Schraube im Unfallversicherungsrecht anzuziehen und den Fall der obligatorischen Krankenversicherung aufzubürden.
Nachdem der Händedruck als Begrüssungsritual aufgrund des Corona-Virus aus der Mode zu geraten droht, ist zu hoffen, dass das Verdikt des Bundesgerichts bereits jetzt ein Relikt aus der Vergangenheit darstellt.