Das unendliche IV-Revisionsverfahren: 17 Jahre Ungewissheit sind endlich vorbei
15. März 2023
Jede zugesprochene Invalidenrente wird von Zeit zu Zeit im Rahmen eines Revisionsverfahrens auf die weitere Berechtigung überprüft. Dabei wird der Sachverhalt zum Zeitpunkt des Erlasses der letzten rechtskräftigen Verfügung mit dem aktuellen Sachverhalt verglichen. Es ist folglich von zentraler Bedeutung, dass ein Revisionsverfahren zeitlich rasch durchgeführt wird, um zu verhindern, dass sich der Sachverhalt während der Revision mehrfach verändert. Dass das nicht immer so ist und sich selbst ein Revisionsverfahren über knapp zwei Jahrzehnte hinziehen kann, zeigt der vorliegende Fall.
Anfang des Jahres 2021 suchte eine IV-Rentenbezügerin bei uns Hilfe, weil sie seit Jahren in Ungewissheit bezüglich ihrer Rente lebte, was aufgrund damit zusammenhängender Existenzängste einen erheblichen negativen Einfluss auf ihre Gesundheit hatte. Ein Blick in die Akten ergab Erstaunliches: Ein im Jahr 2005 eingeleitetes Rentenrevisionsverfahren (die Rente wurde seit dem Jahr 1995 ausbezahlt) war auch nach 16 Jahren noch immer nicht abgeschlossen.
In den Akten lag ein medizinisches Gutachten aus dem Jahr 2008 vor, welches keinen veränderten Gesundheitszustand feststellen konnte. Dennoch wurde unserer Klientin darin plötzlich eine Arbeitsfähigkeit von 100% in angepasster Tätigkeit attestiert. Dies veranlasste die Invalidenversicherung, nach Jahren des Zuwartens und Einholen von weiteren Arztberichten, der bisherigen Rentenbezügerin mehr als zehn Jahre später ein halbjähriges Aufbautraining anzubieten und die Leistungen nach einem Mahn- und Bedenkzeitverfahren aufgrund ungenügender Mitwirkung per Juni 2020 aufzuheben. Das Versicherungsgericht hiess eine gegen die Verfügung erhobene Beschwerde mit Urteil vom Dezember 2020 gut und wies die Sache an die Invalidenversicherung zur weiteren Abklärung zurück. Das Revisionsverfahren war damit nach 15 Jahren wieder am Anfang und die Ungewissheit bestand weiter.
Dabei ist zu bedenken, dass ein Revisionsverfahren für gesundheitlich beeinträchtigte Personen sehr belastend ist. Nie zu wissen, woran man ist, kann schwerwiegende Folgen für die bereits angeschlagene Gesundheit haben. Im Revisionsverfahren damit konfrontiert zu werden, dass trotz identischen Beschwerden plötzlich eine volle Arbeitsfähigkeit vorliegen soll, ist für Versicherte kaum nachzuvollziehen. Dass dann auch noch die Mitwirkungspflicht verletzt sein soll, weil man aufgrund der gesundheitlichen Situation die Leistung nicht erbringen kann, ist fast schon zynisch. Dies umso mehr, wenn gerade der identische Gesundheitszustand zuvor jahrelang zu einer Rente berechtigt hatte.
Nachdem die Sache an die Invalidenversicherung zurückgewiesen worden war, wurde ein neues polydisziplinäres Gutachten in Auftrag gegeben. Auch diese Gutachter gelangten zum Ergebnis, dass sich der Gesundheitszustand in all den Jahren nicht verändert habe. Gleichzeitig führten die Gutachter entgegen ihrem Auftrag jedoch plötzlich aus, die Versicherte hätte eigentlich gar nie Anspruch auf eine Rente gehabt. Die Invalidenversicherung stützte sich auf diese Begründung und bestätigte die Leistungseinstellung.
Mit der von schadenanwaelte dagegen erhobenen Beschwerde konnte nun der Abschluss des letztlich 17 Jahre dauernden Revisionsverfahren erwirkt werden. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau erkannte in seinem Urteil vom 9. Dezember 2022 zutreffend, dass sich seit der rechtskräftigen Rentenzusprache aus dem Jahr 1995 gemäss den vorliegenden Gutachten keine Veränderung des Gesundheitszustandes ergeben habe, dass auch keine Hinweise vorliegen, dass die ursprüngliche Rentenzusprache fehlerhaft erfolgt sei und dass damit weiterhin die ganze Rente geschuldet sei.
Damit hat unsere Mandantin weiterhin denselben Rentenanspruch und kann nach etlichen Jahren (hoffentlich) endlich einige Jahre ohne den zusätzlichen Druck einer laufenden Revision verbringen.
Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 9. Dezember 2022