Cytotec: Umstrittenes Medikament im Rahmen der Geburtseinleitung

15. September 2021

Seit Jahren wird in der Geburtshilfe zur Geburtseinleitung wie auch bei Schwangerschaftsabbrüchen das Magenmedikament Cytotec verwendet. Cytotec ist in der Schweiz und in Deutschland für diese Anwendung nicht zugelassen und darf nur im sogenannten „Off-Label-Use“ verabreicht werden. Doch wissen betroffene Patientinnen, was Off-Label-Use konkret bedeutet? Wie hoch sind die Anforderungen an die Aufklärung über den Off-Label-Use? Finden Sie Antworten darauf im folgenden Beitrag.

Nachdem es in der Vergangenheit unter der Gabe von Cytotec zur Geburtseinleitung vermehrt zu schwerwiegenden Komplikationen mit gravierenden Schäden für Mutter und Kind gekommen war, fachte die Diskussion über die Anwendung dieses Medikaments in der Geburtshilfe erneut auf (s. etwa Podcast des Tages-Anzeiger vom 22.7.2021Tagesschau ARD vom 20.3.2020). Cytotec bzw. der darin enthaltene Wirkstoff Misoprostol ist ein Medikament, das eigentlich als Magenschutz Verwendung findet und auch nur dafür zugelassen ist. Aufgrund seiner kontraktilen (wehenauslösenden) Wirkung wird es aber auch seit vielen Jahren in der Geburtshilfe zur Geburtseinleitung als auch im Rahmen von Schwangerschaftsabbrüchen angewendet. Cytotec darf in der Schwangerschaft laut den Herstellerangaben im Beipackzettel nicht eingenommen werden, da es dabei auch zu einer krankhaften Gebärmutterkontraktion mit schwerwiegenden Folgen bis hin zum Tod des ungeborenen Kindes kommen kann.

Gleichwohl wird das Arzneimittel in zahlreichen Geburtskliniken zur künstlichen Geburtseinleitung im Off-Label-Use verwendet. Off-Label-Use bedeutet die Anwendung von Arzneimitteln ausserhalb des durch die Zulassungsbehörden zugelassenen Gebrauchs.

Über eine solche Verwendung müssen die Patienten im Vorfeld einer Behandlung neben den allgemeinen Risiken umfassend aufgeklärt werden.

Das Landgericht Berlin hat sich in seiner Entscheidung vom 2. Juli 2020 (LG Berlin Az.: 6 O 425/12, Urteil vom 2.7.2020) u.a. mit der Frage befasst, welche Anforderungen an die ordnungsgemässe Aufklärung bei der Verwendung des Medikaments Cytotec im Rahmen der Geburtshilfe zu stellen sind. Geklagt hatte ein 11-Jähriger, der im November 2009 per Notkaiserschnitt zur Welt kam, nachdem seine Mutter Cytotec erhalten hatte. Durch die komplizierte Geburt ist der Kläger heute schwerbehindert. Das Landgericht gab der Klage mit der Begründung statt, dass die Aufklärung der Mutter mangelhaft erfolgt sei. Die Richter hielten unter anderem fest, dass im Rahmen der Aufklärung über die Gabe von Cytotec auf den sog. Off-Label-Use hinzuweisen sei. Dieser Hinweis müsse auch umfassen, dass es bei einer solchen Anwendung möglicherweise zu noch unbekannten Risiken und Nebenwirkungen kommen könnte. Die Patientin müsse nach der Aufklärung in der Lage sein, sorgfältig für sich selbst abzuwägen, ob sie die in Aussicht gestellten Vorteile der nicht zugelassenen Anwendung für sich beanspruchen und damit die grösseren Risiken in Kauf nehmen will, oder ob sie eine klassische Behandlung vorzieht. Vor allem müsse die Möglichkeit bestehen, sich über die Gründe der Nichtzulassung eines Medikaments ein umfassendes Bild zu machen.

Mit dieser aktuellen und wichtigen Thematik befasste sich im Nachgang an das oben genannte Urteil auch Schadenanwaeltin Maude Laforge zusammen mit weiteren Autoren (s. Graf, Michael / Johannes, Gabriela / Laforge, Maude: Behandlungs- und Aufklärungsfehlerhaftung bei der Anwendung von Cytotec im Bereich der Geburtshilfe (VersR 2021, 939). Die Verfasser weisen in ihrer Abhandlung insbesondere darauf hin, dass es nicht genügt die Patientin darüber aufzuklären, dass das für die Geburtseinleitung zur Verwendung kommende Arzneimittel zwar nicht zugelassen sei, die Verwendung aber der gängigen Praxis und der allgemeinen Empfehlung entspreche. Vielmehr muss die Aufklärung zur Behandlungsmethode «Geburtseinleitung mittels Cytotec» gewährleisten, dass die Patientin nicht nur über den Begriff und die Bedeutung des Off-Label-Use aufgeklärt wird, sondern insbesondere zusätzlich auch über die Hintergründe und Gefahren des Off-Label-Use im konkreten Fall.

Im April 2021 entschied das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemeinsam mit Arzneimittelimporteuren, dass das Arzneimittel Cytotec angesichts vieler Komplikationen im Off-Label-Use in Deutschland nicht mehr vertrieben werden darf. In der Schweiz wird das Arzneimittel Cytotec weiterhin zur Geburtseinleitung verwendet, wobei zu vermuten ist, dass auch die Schweiz in Kürze nachziehen wird.