Blick 9.11.2019 Dank IV: Ärzte scheffeln Millionen

Ein Berner Arzt hat für IV-Gutachten 3,1 Millionen Franken erhalten. Der Mann ist bekannt dafür, kaum jemanden für arbeitsunfähig zu erklären – und er ist kein Einzelfall.

Verena Meier* ist 38 Jahre alt, als sie an einer Depression erkrankt. Die Pflegefachfrau muss drei Wochen in Therapie. Dann geht die junge Frau wieder ihrem Beruf nach, muss aber immer wieder in psy­chiatrische Behandlung.

Nach einem Stellenwechsel geht gar nichts mehr. Ihr Therapeut konstatiert «latente Suizidgedanken». Ein zweiter Arzt stuft sie als berufsunfähig ein. Ein dritter diagnostiziert ebenfalls 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen.

Meier muss ihren Job aufgeben und beantragt eine Invalidenrente. Die IV-Stelle des Kantons Zürich gibt bei Dr. K.** (55) aus Bern ein externes Gutachten in Auftrag. K.s Diagnose: Die depressive Störung habe nachgelassen. Im Gegensatz zu allen Ärzten vor ihm erkennt er keine Krankheit, erklärt die Frau für 100 Prozent arbeitsfähig. Da­raufhin lehnt die IV ihren Antrag auf eine Rente ab.

Eineinhalb Jahre später nimmt sich Verena Meier das Leben, am 27. September 2010. Im Sommer des folgenden Jahres wird K. um einen Ergänzungsbericht zum Fall gebeten. Darin hält er an seiner Diagnose fest: Die Verstor­bene sei weder psychisch krank noch arbeitsunfähig gewesen.

Unter Juristen ist K. be­rüch­tigt für die Gesunderklärung von Patienten. Der Zuger Versicherungsanwalt Rainer Deecke (39) sagt: «Ich kenne keinen Anwalt, der je ein Gutachten von Dr. K. zu Gesicht bekommen hätte, in welchem eine relevante Arbeitsunfähigkeit attestiert worden wäre.»

Trotzdem – oder gerade deshalb – ist K. als IV-Gutachter gefragter denn je. Allein 2018 erhielt er von kantonalen IV-Stellen 334’000 Franken.

1,9 Millionen Franken für IV-Einschätzungen

Seit 2012 kassierte K. für die medizinische Einschätzung von IV-Antragstellern 1,9 Millionen Franken. Das zeigt ein Dokument des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV), das SonntagsBlick gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat.

Darin ist aufgelistet, welche Summen Ärzte und Kliniken zwischen 2012 und 2018 von kantonalen IV-Stellen erhalten haben. Eine Auswertung beweist, was Kritiker der heutigen Vergabepraxis schon lange vermuten: Die IV-Stellen vergeben die Aufträge für Gutachten extrem einseitig.

2018 bezahlten sie 683 Ärzte und Kliniken für die Erstellung von sogenannten monodisziplinären medizinischen Gutachten. Insgesamt vergüteten die IV-Stellen dafür 29,5 Millionen. Dabei erhielten zehn Prozent der Gutachter rund drei Viertel des gesamten Auftragsvolumens.

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