BGE 9C_116/2021 vom 25. November 2021: Begriff der zumutbaren Tätigkeit bei Erwerbsunfähigkeitsversicherungen eng gefasst

Wer aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit in seinem bisherigen Beruf (sog. angestammte Tätigkeit) arbeitsunfähig wird, erhält von Privatversicherungen (z.B. Krankentaggeld- oder Erwerbsunfähigkeitsversicherungen) oft mit dem pauschalen Hinweis auf eine sog. „Verweistätigkeit“ keine oder nur stark gekürzte Leistungen. Gemeint ist, dass er oder sie in einer anderen zumutbaren Tätigkeit noch einen Verdienst erzielen kann. Dieses Vorgehen der Versicherungen wird sich nun ändern müssen.

In einem von schadenanwaelte erstrittenen Urteil stellt das Bundesgericht nun klar, dass solche Verweistätigkeiten nur dann als zumutbar gelten, wenn damit „mindestens annähernd das bisherige Einkommen erzielt werden kann“ (E 5.2.3). Ist dies nicht der Fall, sind die Versicherungsleistungen in vollem Umfang auszurichten. Die Bäckermeisterin, die (z.B. wegen einer Mehlallergie) nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten kann, muss also nicht jeden anderen Job annehmen, wenn damit Lohneinbussen verbunden sind. Ebenso wenig muss z. B. der selbständige Akkordmaurer, der mit 60 Jahren aus gesundheitlichen Gründen seine selbständige Tätigkeit aufgeben musste, nicht noch bis zu seiner Pensionierung als Strassenwischer o. ä. arbeiten bzw. eine entsprechende Stelle suchen, die er auf dem realen Arbeitsmarkt sowieso nicht findet.

Damit dürfte auch der gängigen Praxis der Versicherungen, jeweils schematisch den Grad aus dem vorangehenden Invalidenversicherungsverfahren zu übernehmen, endgültig eine Absage erteilt worden sein.