Badeunfall – wer haftet?
15. Juni 2022
Unsere Gewässer – ob Schwimmbäder, Badis oder Flüsse – sind im Sommer der Inbegriff von Spass und Erholung. Doch was Spass und Erholung bringt, birgt leider auch Gefahren.
Statistisch gesehen ertrinken in der Schweiz nach Angaben der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft SLRG pro Jahr durchschnittlich 46 Menschen. Auf jeden Todesfall kommen ungefähr zehn mittel- und fünf schwer Verletzte, mit oft bleibender Invalidität. Viele Badeunfälle lassen sich mit der Beachtung simpler Sicherheitsregelnvermeiden. Aber wer haftet, wenn nun trotzdem etwas passiert?
Neben allfälligen Aufsichtspflichtverletzungen von Eltern oder von diesen mit der Aufsicht betrauten Personen wie auch von Lehrpersonen ist in der Praxis oft von Interesse, unter welchen Voraussetzungen Betreiber öffentlicher Bäder wegen möglichen Sicherheitsmängeln haftbar gemacht werden können.
In einem neuen Entscheid (BGer 4A_450/2021 vom 21. März 2022) beschäftigte sich das Bundesgericht mit der Frage, ob eine Gemeinde als Betreiberin eines öffentlichen Strandbades dafür haftet, wenn sich ein Gast bei einem Kopfsprung aufgrund einer ungenügenden Wassertiefe (1.1 Meter) bleibende Verletzungen mit Lähmungsfolgen zuzieht (Lähmung vom fünften Halswirbel abwärts). Dieser Entscheid zeigt exemplarisch auf, welche Umstände bei der Prüfung einer allfälligen Haftung zu beachten sind.
Im vorliegenden Fall war zu entscheiden, ob die Gemeinde den Badesteg, von welchem der 22-jährige Gast hineinsprang und sich verletzte, hätte besser sichern müssen (etwa mit einem Geländer oder mit Verbotstafeln). Das Bundesgericht bejahte dies und kam entsprechend zum Schluss, dass eine Werkeigentümerhaftung der Gemeinde vorliege.
Ausschlaggebend für die Bejahung der Haftung war insbesondere, dass es im Strandbad üblich war, dass Badegäste vom Badesteg an verschiedenen Stellen und auf unterschiedliche Art und Weise in den See sprangen (insbesondere auch kopfvoran), ohne dass der Bademeister jeweils interveniert hätte. Deshalb sei auch nicht relevant, dass der Badesteg nach dessen ursprünglichem Zweck nicht für Sprünge ins Wasser vorgesehen war (Erw. 4.2). Wie das Bundesgericht diesbezüglich einmal mehr darlegt, liegt ein Werkmangel nicht nur dann vor, wenn ein Werk bei bestimmungsgemässem Gebrauch den Sicherheitsanforderungen nicht genügt, sondern auch dann, wenn eine falsche Benutzung vorhersehbar und üblich ist (Erw. 4.2).
Ebenfalls war zu beurteilen, ob ein haftungsausschliessendes Selbstverschulden vorlag. Dies verneinte das Bundesgericht. Es rief dabei in Erinnerung, dass das Selbstverschulden derart überwiegen müsste, dass die Unterlassung von Sicherungsmassnahmen geradezu in den Hintergrund gedrängt würde. Solche Umstände lagen gemäss Bundesgericht nicht vor und es wies in diesem Zusammenhang erneut darauf hin, dass Kopfsprünge vom Badesteg über längere Zeit hinweg geduldet wurden. Anders hätte es sich allenfalls dann verhalten, wenn andere Badende sich (für den Springenden sichtbar) beim Badesteg aufrechtstehend im Wasser befunden hätten (Erw. 5.2).
Urteil des Bundesgerichts vom 21. März 2022 im Verfahren BGer 4A_450/2021