15.11.2019 Rainer Deecke zum Thema „betrunken Velofahren“ im Magazin zentralplus
Lohnausfall, Schulden, Check weg: Das kann passieren, wenn du betrunken E-Bike fährst.
Schwer betrunken ist ein 74-Jähriger letzten Juni in Rotkreuz auf seinem Elektrovelo nach Hause gefahren. Prompt stürzte er, als er in eine Mauer prallte. Das Resultat: ein Schädelhirntrauma – und eine Strafanzeige.
Der Mann muss ziemlich gebechert haben, bevor er in jener Juni-Nacht auf sein E-Bike stieg. Über zwei Promille hatte er intus. Einen solchen Wert erreicht ein 75 Kilo schwerer Mann nur, wenn er rund vier Liter Bier und fünf Gläser Schnaps getrunken hat.
Während andere mit so viel Alkohol im Blut kaum noch sprechen, geschweige denn gehen können, traute der Rentner es sich noch zu, mit seinem Elektro-Velo nach Hause zu fahren. Etwas mulmig muss ihm allerdings schon gewesen sein: «Zur Sicherheit» fuhr er auf dem bis zu 25 km/h schnellen Gefährt auf dem Trottoir.
Es kam, wie es kommen musste: Auf der Höhe einer Bushaltestelle schrammte der Mann eine Natursteinmauer und fiel vornüber auf die Strasse. Er erlitt dabei ein leichtes Schädelhirntrauma, eine Rissquetschwunde an der Stirn und mehrere Prellungen im Gesicht.
Seine Unvernunft brachte dem 74-Jährigen nicht nur heftige Kopfschmerzen ein, sondern auch eine Strafanzeige. Die Polizei nahm Ermittlungen wegen des Fahrens in «fahrunfähigem Zustand» auf. Der Mann musste sich einer Blutanalyse unterziehen, die das ganze Ausmass der Trunkenheit ans Licht brachte.
Die Staatsanwaltschaft Zug sprach den Mann schuldig, wie aus einem rechtskräftigen Strafbefehl hervor geht. Sie kam aber zum Schluss, dass der Rentner durch seine Verletzungen schon genug gestraft ist. Deshalb wird von einer Busse abgesehen. Er muss aber immerhin Verfahrenskosten von rund 370 Franken bezahlen.
Haftpflichtversicherung fordert das Geld zurück
Der Rentner kommt damit relativ glimpflich davon, wie der Zuger Anwalt Rainer Deecke erklärt. Gemäss dem Experten für Haftpflicht und Versicherungsrecht bei der Kanzlei «Schadenanwälte», kann es ganz schön teuer werden, wenn man betrunken auf ein Elektrovelo steigt.
«Ein solches Verhalten ist grobfahrlässig», sagt Deecke. Die Heilungskosten werden zwar trotzdem von der Versicherung übernommen. Für den angerichteten Sachschaden müssen die Betroffenen aber oft selber aufkommen. «Die Haftpflichtversicherung kann das Geld vom Lenker zurückverlangen oder Zahlungen verweigern, wenn der Unfallverursacher betrunken war und den Unfall grobfahrlässig herbeigeführt hat.»
Kommen bei den Unfällen andere Personen zu Schaden, beispielsweise wenn ein Kind angefahren wird, kann das sehr schnell sehr teuer werden. «Eine schwere Verletzung kann Kosten in Millionenhöhe auslösen – und der Verursacher wird dafür trotz Versicherung mindestens teilweise selber aufkommen müssen. Denn bei Grobfahrlässigkeit besteht das Risiko der Leistungsverweigerung oder des Rückgriffs», so Deecke.
Zudem steigen die Prämien der Haftpflichtversicherung an. «Im schlimmsten Fall kündigt die Versicherung den Vertrag», so Deecke.
Auch der Fahrausweis ist gefährdet
Hinzu kommt, dass dann ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung eröffnet wird. Es ist mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe, einem Eintrag ins Strafregister und deutlich höheren Verfahrenskosten zu rechnen.
Unter Umständen müssen die Unfallverursacher auch den Autofahrausweis abgeben. Wenn jemand mit zwei Promille Alkohol im Blut noch halbwegs velofahren kann, kann das ein Indiz für problematischen Konsum oder gar eine Abhängigkeit sein. «In diesen Fällen werden Haar- und Blutanalysen angeordnet», sagt Deecke.
Bestätigen diese einen problematischen Suchtmittelkonsum, wird der Fahrausweis zur Sicherheit auf unbestimmte Zeit entzogen. «Betroffene erhalten ihn erst wieder zurück, wenn regelmässige Kontrollen zeigen, dass sie den Konsum wieder im Griff haben und die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer wieder gewährleistet ist. Solche Verfahren sind langwierig und mit hohen Kosten verbunden.»
Eine Armutsfalle
Wer betrunken Velo fährt, geht zudem das Risiko von massiven Lohneinbussen ein. «Die obligatorische Unfallversicherung kann die Höhe der Taggelder kürzen, wenn Grobfahrlässigkeit vorliegt», warnt Deecke. Ist die betroffene Person verheiratet oder hat Kinder, können die Leistungen bis zu 50 Prozent gekürzt werden.
Alleinstehende kann es sogar noch schwerer treffen. Das heisst: «Betroffene, die nach dem Unfall längere Zeit nicht mehr arbeiten können, müssen mit einem viel tieferen Einkommen auskommen», so Deecke. «Viele denken, angetrunken Velo zu fahren, sei nicht so schlimm. Die Konsequenzen können aber gravierend sein.»